Anna Schmitz an Sohn Rudolf, 5. Februar 1937
Köln – Dellbrück, 5. 2. 37.
Mein lieber Rudolf!
Nun ist es aber Zeit, Dir endlich Antwort zu schreiben auf Deinen Brief vom 20. I. 37. Ich hatte erstens sehr wenig Zeit in dieser Woche, weil ich ja Samstag zum Kochen war, dann hatte mich Dein Geständnis doch ein wenig aus dem Gleise gebracht! Ich will auch als erstes darüber ein Wort mit Dir sprechen. Mündlich wäre es ja besser, aber es geht ja nicht! Ja Kind, ich habe viel darüber gedacht, und ich musste mit mir selbst manches abmachen. Ja, es kommt nun auch für Dich die Zeit, die zeigen muß, ob Du ein Mann bist, ob Du stark genug bist, Deiner Leidenschaft Herr zu bleiben, Ob meine Erziehung die rechte war. Ich denke, da ich Deine Erziehung nach bestem Wissen und mit Verantwortungsgefühl geleistet habe, wird der liebe Gott, der unser Mühen sieht, seine Gnade geben, dass alles zum Besten sich wendet. Ob der Zeitpunkt geeignet war, ihr zu schreiben, kann ich nicht wissen, auch nicht, wie sie, oder die Eltern sich dazu stellen. Vielleicht hast Du inzwischen schon Antwort? Ich kann Dich ja sehr gut verstehen, dass Du einen Anhaltspunkt haben möchtest, auch in dieser Sache, denn Deine Gefühle kenne ich ja aus eigener Erfahrung. So schnell mußt Du auch keine Antwort erwarten, man
weiß ja nicht, wie bei H. die Sache überlegt wird. Vielleicht, oder sehr wahrscheinlich ziehen sie erst Erkundigungen über uns ein. Ich hätte ja mal gerne gewusst, was Du geschrieben hast? Ich meine, von irgend einer Seite, von ihr, oder den Eltern müsste irgend eine Nachricht an Dich ergehen. Du hattest doch Deine Adresse angegeben? Wie es auch kommt, mein Junge, und wenn es auch schief geht, Kopf hoch; denk daran, dass Mutter für ihre Liebe so hart + bitter hat kämpfen + leiden müssen. Ich hoffe, ja ich weiß, daß mein Junge so geschrieben hat, daß Du auch in jedem Falle ihnen in die Augen sehen kannst. Ich habe sie lange nicht gesehen. Die Fam. H. + Frau + Sohn Sonntag in der Kirche. Sie zuletzt Sonntag vor 3 Wochen, da ging sie in die Kemperendstr. mit ihrem Bruder, so um 2 Uhr, ich ging zu Tante Stine. Ja, Rudolf, alles wie Gott will! - Ich freue mich sehr zu hören, daß Du gesund bist und Dein Reitbild in Ordnung ist. Daß der Dienst stramm ist, ist für Dich jetzt gut, damit Du nicht zuviel Zeit zum Grübeln hast! Hast Du an T. Marie geschrieben + an Onkel Arnold auch? Auch an die Apothekerschaft gedacht? Das ist jetzt die Hauptsache, die Grundlage für Dein ferneres Leben! Darauf sich alles aufbaut! – Bei uns ist alles beim Alten. Sonntag war ich in Thielenbruch zum Kochen, in dem schönen Haus in der Waldhausstr. daß uns so gefiel, wo der Eingang so schön war. Ich gehe mal mit Dir hin. Ich
habe der Dame davon gesprochen. Sie hat mir das ganze Haus gezeigt! Wunderschön, nicht so groß. Es ist ein kinderloses Ehepaar. Ich war sehr zufrieden dort, gehe bald noch mal einen Palmsonntag gleich nebenan, ein Major a.D. – Wann kommst Du nun nach Wahn. Geht ihr vorher nach Soest? Rudolf, ich habe mir heute eine neue Maschine angesehen. Mit Motor 425 Mark, monatlich 15 Mark. Das viele Treten strengt ich so an. Und ich muß doch noch manches Jahr nähen. Was meinst Du. Meine kleine würde ich dann verkaufen. Das ist ja viel Geld, ich müßte dann wieder 2 Jahre bezahlen! Dafür hätte ich auch Vieles Andere im Haushalt. Aber das ist doch das Wichtigste. Ich muß mal sehen! Wir sollen eine gute Saison bekommen! Ja, so hat man immer neue Sorgen! Heute habe ich mit Frl. Maus lange über Dich gesprochen.. Ich war fast allein da. Sie ist so nett! Ich arbeite jetzt gerne da.
Hier in Dellbrück sterben viele Leute. Jetzt Frau Track, neben T. Stina, 54 Jahre alt. In der Strundenerstr. hat sich ein Mann erhängt, der Dritte in einem Jahr in derselben Straße. Von dem Mord im Refratherwald hast Du wohl gelesen. Ein junger Mann hat sein Mädel, die in Umständen war, erwürgt, da am dicken Baum.. Und vorige Woche hat ein Ehemann und seine Liebste seine Frau in der Dhünn ertränkt. Schrecklich, so wenig Kraft + Moral
ist in den Menschen! Nein, das täte ich nicht. Lieber arm + geplagt sich durchschlagen! Gell, mein Junge! – Nun schicke ich Dir etwas Seife + etwas zum Kaffee zum Sonntag. Ich habe selbst gebacken. Hoffentlich schmeckt es. Etwas Fettiges habe ich nicht beigepackt. O. Georg hat heute geschlachtet, da wirst Du ja auch etwas bekommen. Laß Dir alles gut schmecken. Bleibe stark + froh + gesund und habe weiter Vertrauen zur Mutter, wie bisher. So gut sie kann, helfe ich Dir in Allem. Die Tage fahr ich nicht nach Köln. Montag will ich mit Elli nach Herrenstrunden, wenn das Wetter schön ist. Wenn wir zwei mal erst wieder gehen! Ha, was wird das fein! Da freue ich mich darauf. – Nun mein Kind viele liebe Grüße und Küsse schicke ich Dir in alter Treue
Deine Mutter