Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 24. November 1940

den 24.11.40

Mein lieber Mann!

Heute in vier Wochen ist Weihnachten. Ob wir es wohl zusammen feiern? Die Kinder erzählen schon sehr von Weihnachten und den Christkind. Heute abend, als sie im Bett gar nicht zur Ruhe kommen wollten, hat Lilli Linde (Nachbarin) mit einem Glöckchen auf dem Flur geläutet. Da hättest Du aber die artigen Kinder sehen soll, d.h. mit Ausnahme von Ursel, auf die ja, wenn sie bockig ist, weder Christkind noch Teufel Eindruck machen. Nachmittags waren die beiden Omis mit den Grossen an den Gräbern der Grossväter, ich hatte Dienst und musste die drei Kleinen hüten.

Thea ist mit ihrem Jochen mal wieder auf Reisen. Der arme Junge hat Keuchhusten und muss deshalb Luftveränderung haben. Sie ist jetzt mit ihm bei seiner Tante Elfriede in Sarstedt bei Hannover. Wenn Du dort in der Nähe bliebst, könntest Du bei einen Sonntagsurlaub zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Thea in Sarstedt und Banthiens bei Sarstedt. Das wäre schön.

Ich habe auch schon angefangen, Weihnachtsplätzchen zu backen. Aber das mache ich jetzt abends, wenn die Kinder in Bett sind. Ich habe noch vom vorigen Jahr genug, wie sie mir alle vier mit den Händen in den Teig fuhren und helfen wollten.

Ich habe vorgestern den so sehr lange angekündigten Film 'Das Herz der Königin' gesehen. Er war natürlich eine Enttäuschung. Ich mache mir aus dieser zurechtfrisierten Historie nichts und mann weiss in dem ganzen Film nie, hat man nun Maria Stuart oder Zarah Leander vor sich. In den meisten Fällen Zarah.. Der Film ist nur für sie gedreht. Es war auf jeden Fall eine Enttäuschung.

Montag

Oben betet Anneliese mit den Kindern zur Nacht. Sie hat den Tonfall der Fronleichnamsprozession dabei. Vollkommen monoton mit erhobener Stimme. Ich komme gerade von den Trabanten. Ich bin jetzt jeden Abend dabei, wenn sie ins Bett gehen, nur heute habe ich mich früher verzogen, angeblich, um mit dem Christkind zu sprechen, aber in Wirklichkeit, um Dir den Brief zu Ende zu schreiben.. Es gibt noch eine sehr schöne Errungenschaft. Jeden Abend von 6 bis 7 Uhr ist im Radio Musik zur Dämmerstunde, und wenn ich irgend kann, stehle ich mir 20 Minuten ab, um da zuzuhören. Es sind Schallplatten, Kammermusik. Ich zünde mir dann nur eine Kerze an und sitze in meinem Lehnstuhl an Ofen. Es ist wirklich eine Erquickung und Freude.

Heute abend nach Tisch will ich das Puppenzimmer für Helga und die Puppenküche für Heidi wieder herrichten. Das wird ja mehrere Abende dauern.

Harald, ich freue mich so sehr auf die nächste Nachricht von Dir. Es ist scheußlich, wenn man morgens und nachmittags die Post ablauert und dann bis zum nächsten Tag warten muss, ob dann vielleicht etwas dabei ist. Ich weiß gar nicht so recht, wie und wo ich Dich in Gedanken suchen muss. Du wirst doch wohl nicht schon von Rheinsehlen fort sein. Gestern abend dachte ich, Du würdest vielleicht anrufen, weil Sonntag war. Ich hatte das Telefon extra nach oben gestellt. Aber das war ja nun eine falsche Hoffnung.

Wenn man jetzt nach Bonn fährt, macht man eine Himmelfahrt. Bis Dottendorf geht die Elektrische, dann wird man in einen Omnibus verfrachtet und im Bogen nach Bonn kutschiert. Bei der Reuterstraße liegen nämlich seit einigen Tagen Blindgänger, und auf deren Losgehen muss man erst warten.

Jetzt sitze ich auf der Couch und denk daran, wie wir manchmal, ich an Dich gelehnt, zusammen da gesessen haben und Radio hörten. Gerade sind die Frontberichte dran, Dein ganz spezielles Interessengebiet. Und dann würden wir nach Tisch zusammen arbeiten oder auch etwas ausgehen oder vorlesen. Die Omis haben angeregt, abends gemeinsam vorzulesen, aber ich habe nach den früheren Erfahrungen nicht den rechten Mut dazu, und außerdem geht der Geschmack auch sehr auseinander. Es würde höchstwahrscheinlich nur zu Differenzen und unergiebigem Disputen führen. Dafür lese ich sehr viel selber, und die Linzsche Bücherei ist ja vorläufig auch noch ein unergründliches Meer. Und dann verschwinde ich meistens schon um 1/2 10 Uhr im Bett. –

Wo magst Du wohl sein und was magst Du tun? Schreibe doch bitte, wenn es irgend möglich ist, wenigstens eine kurze Karte. Hat es Zweck, Dir manchmal ein paar Fleischmarken zu schicken? Wurst hat ja keinen Zweck, weil es ja keine Dauerwurst mehr gibt und die andere auf dem langen Transport schlecht würde. Auch Käsemarken könnte ich Dir schicken. Ich muss nur wissen, ob es Zweck hat und ob Du die Marken in nahrhafte Dinge umsetzen kannst. Ich würde Dir auch gerne das dazugehörige Geld schicken. Ich finde es zwar nicht so hübsch wie ein Feldpostpaket, aber bestimmt praktischer und für Dich appetitlicher. Denn zu Käse und Wurst, die nach Pappe und Papier schmecken und motzig sind, muss eben die Erinnerung an die Heimat als Gewürz kommen. Und ob so etwas den Geschmack verbessert, glaube ich trotzdem nicht. Bei Hasenbroten ist die Sache anders, die sind dann wenigstens nur einen Tag alt und keine vierzehn.

Nun lass Dich ordentlich küssen, auch von den Kinderchen, das haben sie mir extra bestellt. Deine Lotti