Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 23. März 1943

den 23.3.43

Mein lieber Mann!

Nach dem leckeren Abendessen (Reibekuchen), nach dem ich eigentlich so müde bin, dass ich am liebsten ins Bett möchte, kriegst Du nun Deinen Brief. Dass ich ins Bett möchte, liegt nun weniger am Reibekuchen als an dem vielen treppauf treppab heute, und dazu haben wir braverweise mit dem ersten Anfang des Hausputzes begonnen, mit dem Speicherreinmachen. Helga, die nun wieder gesund ist, war auch nur noch mit Mühe im Bett zu behalten und hatte tausend Wünsche. Jürgen hat sich auch bemerkbar gemacht, und bloß Klaus merkte man wie immer, überhaupt nicht, Gott, ist das doch ein ruhiger Junge. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, merke ich, dass ich ihn eigentlich mit den anderen so mitziehe. So ein lieber kleiner Junge. Den Jürgen dagegen hätte ich am liebsten ein paarmal verdroschen.

Und was macht jetzt unsere Heidi? Ich freue mich jetzt schon, wenn ich sie wieder zurückbekomme. Ich komme mir geradezu vor, als wenn ich sie verstoßen hätte.

Wie hat Dir der Film „Diesel“ gefallen? Ich sah ihn auch vor vierzehn Tagen. Gestern sah ich Birgel in einem Gesellschaftsfilm: Du gehörst mir. Gute Unterhaltung. Thea ist in den vier Tagen, die sie hier war, rasch zweimal im Kino gewesen, und im übrigen hat sie gekauft und nochmals gekauft, so dass ich plötzlich eine hohe Meinung von den Reichtümern bekam, die noch in unserem Godesberg zu haben sind. Vor allem hat sie Bücher ge-kauft, ich glaube sieben Stück (offiziell habe ich sie natürlich bei Möckel und Linz gekauft) denn sie hätte keine bekommen, Flitspritzen, allerlei aus dem Netten Laden, eine Kaffee-

kanne bei Beerenrath, Lavendelpulver, Parfüm, Löschpapier, Buchhüllen, die Lederhandschuhe, die ich ursprünglich für mich gekauft habe, die mir dann aber doch etwas groß waren und unendlich viel mehr.

Eben habe ich ein langes Telefongespräch mit Schultzens gehabt, die anriefen, um zu sagen, dass Thea und Heidi gut angekommen sind. Heidi hat sich sofort eingelebt, und Jochen und Heidi haben sich sofort in den Armen gelegen. Also, das beruhigte mich. Hans war auch am Telefon und war reizend wie immer. Bei Schillings hat Thea auch angerufen und hat mit Heinz Schilling selber gesprochen, der auf Genesungsurlaub ist, nachdem er lange Zeit im Lazarett gelegen hatte. Er will Dir jetzt selber schreiben.

--- Wieder ein Telefongespräch. Diesmal war es Fräulein Hunscheidt, die dreiviertel Stunden erzählt hat. Das tut sie ab und zu gerne aus ihrer Einsamkeit heraus. Und was ich Dir noch alles erzählen wollte, ist in dem langen Telefongespräch untergegangen.

- Gestern Abend war ich bei Frau Hillenbrand mit Frau Stein, Sprock und Vögen. Nächste Woche ist dieser Abend dann bei Frau Sprock und es wird sich wohl langsam so etwas ähnliches wie das eingegangene Kränzchen,, aber abends, herauskristallisieren.

Das Gekräute im Garten regt sich doch sehr. Ich werde mir eine Zeichnung von dem Steingartenbeet machen, damit Du weißt, wie alles blühen wird. An zwei Pflanzengruppen sind dicke Knospen, die in den nächsten zwei bis drei Tagen aufbrechen werden. Die Aubretie auf dem halbrunden Beet unter dem Bäumchen hat eine Menge lila Blümchen. Auch die Schlinggewächse am Balkon treiben jetzt heftig los, und auch der Flieder hat richtige kleine Blättchen.

Gestern nachmittag, als ich in der Stadt war, kam auf einmal ein Hauch aus früheren Zeiten über mich. Bei solchem Wetter bekam man dann auf einmal Lust, die Kleider nachzusehen und zu überlegen, was man sich Neues anschaffen sollte. Und man holte sich dann ein recht hübsches Heft mit neuen Moden. Es war eben Frühling. Und Du hast immer so nett mitgetan.

Heute will ich nun brav im üblichen Stil weiterarbeiten, Kinderbetten beziehen, Zimmer richten, einholen und zum Schluss am Abend lesen. Vorgestern sprach ich mit Lollo am Telefon. Die war kreuzunglücklich und sagte, sie sei jetzt oft so missmutig, denn sie hätte nichts mehr vom Leben, bloß noch Haushalt und Kinder. Als ich ihr dann sagte, dass unser Leben doch eigentlich noch sehr schön sei, wenn man an die anderen denke und dass ich aus diesem Grunde eigentlich immer sehr fröhlich sei, meinte sie, wahr sei das wohl, aber sie sei doch missmutig, denn sie entbehre so sehr alles, was sie früher gehabt hatte und bloß die sechs Wochen in Kissingen seien noch schön gewesen, denn da hätte sie gelebt wie früher.

Ich kann mir ja gut denken, dass man nach dem schönen Leben, wie sie es früher gehabt hat, Sehnsucht haben kann, aber immerhin ist sie doch in diesem Sommer, wenn Bomben fallen, weit von Schuss, und das ist auch etwas wert.

Klaus, Ursel und Jürgen spielen im Kinderzimmer Indianer. Ursel muss für die beiden Männer kochen. Klaus nennt sich blaue Schlange. D.h., ich habe ihm den Namen vorgeschlagen, denn bis jetzt konnte er sich unter Indianern nichts vorstellen. Eben haben wir beide an Hand des Lexikons uns angesehen, wie so ein Indianer aussieht und dann überlegt, was die wohl tun, und dann habe ich ihm zwei Namen zur Auswahl angeboten, Blaue Schlange oder Rotes Kuhauge. Da fand er den ersten Namen aber schöner.

Ich lege noch zwei Briefe in Sachen Engels bei. Du kannst mir dann ja sagen, was ich tun muss bezw. selber schreiben. Überhaupt habe ich jetzt Arbeit damit. Erstens musste Frau Engels allerlei wissen, wegen ihrer Steuererklärung und ich habe das so gut ich konnte erledigt, und dann rief sie mich an und bat um die Hausverkaufsakten und um die Akten wegen der Enteignung des Otto-Hausmannringes aus irgendwelchem früheren Jahrhundert. Ihr Schwager und ihre Schwägerin wollen das in Garmisch haben um von dort aus scheinbar noch mal wegen der Enteignungssache vorstellig zu werden. Frau E. hat ganz recht. Vier Wochen waren sie bei ihr und haben sich nicht um den Kram gekümmert und nun in Garmisch kriegen sie den Fimmel und wollen alles nachholen und sie muss nun Einschreibepakete machen und alles schicken (was sie am meisten hodert und ich habe sie nicht auf den Gedanken gebrach, dass ich das schicken könnte, denn ich mag auch keine Pakete packen.

Ich muss an die Arbeit.

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