Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 14. April 1941

den 14.4.41

Mein lieber Mann!

Ich war gestern nachmittag so unruhig und musste immer an Dich denken. Heute morgen bin ich unlustig zu aller Arbeit und deshalb bis l0 Uhr im Bett geblieben. Es ist doch scheußlich, dass man sich nicht mal anrufen kann. Herr Schüler meinte, Du könntest wohl nach Dienstschluss von dort aus anrufen. Wäre das möglich?

Helga kommt eben von ihrem großen Spaziergang aus dem Marienforster Wald und hat mir einen Strauß Anemonen und Leberblümchen mitgebracht. Unterdes ist Heidi mit Lindes ins Siebengebirge gegangen. Sie wollen auf dem Petersberg zu Mittag essen. Ich sollte mich auch anschließen, kann mich heute aber zu nichts aufraffen. Morgen, wenn Post da ist, wird es wieder anders sein.

Gestern abend haben wir noch eine wunderbare Flasche weißen Bordeaux getrunken mit Herrn Schüler. Er war so herrlich und so süß, wie ich selten etwas getrunken habe. Wir haben viel erzählt, dazwischen die Berliner Philharmoniker gehört. Sodass es sehr hübsch war.

Und jetzt sitze ich vor der Maschine und weiss nicht weiter.. Ich will sie aber auch nicht lassen. Ich bin heute verträumt, nicht eigentlich traurig, aber sehnsüchtig und nicht ganz bei der Arbeit, sondern in einer Fantasiewelt. Wenn Du hier wärst, würde es sicher ein wunderschöner Tag, aber so weiss ich nicht viel anzufangen. Ich habe nämlich heute meinen freien Nachmittag. Anneliese hat Dienst. Vielleicht gehe ich mit Helga aus. Irgendwohin ins Feld oder auch nur durch die Villenstrassen.

Nachmittag

Unser Helgakind macht mir Spaß. Ich habe alle Kinder gleich lieb, aber mit ihr kann ich mich schon über alles Mögliche unterhalten. Jetzt hat sie als Neuestes die Landkarte entdeckt, kennt alle Länder im Nu und reist mit dem Finger drauf rum, sucht Stettin, Godesberg und Berlin. Es mach wirklich Spass. Und dann hat sie einen Kummer. Sie möchte so gerne, wie sie sagt, gut werden und alles so gut machen, wie sie kann, und immer wieder würde sie es vergessen. Ist das nicht reizend?

Ich werde nicht spazieren gehen. Ich lege mich auf die Couch. Meine Müdigkeit ist heute überwältigend, und morgen habe ich wieder ein großes Laufprogramm.

Ich spiele mit dem Gedanken, wenn ich irgendwie etwas Geld übrig hätte, im Juni oder Juli nach Stettin zu fahren. Wäre das etwas? Ich möchte mich mal entspannen und auch neue

Anregungen holen.

Es ist jetzt viertel nach vier, also ungefähr die Zeit, wenn bei Euch die Post kommt. Nach meiner Berechnung müsstest Du heute einen Brief haben. Ich wäre mit Dir enttäuscht, wenn das nicht wäre.

Ich grüße und küsse Dich herzlich. Die Kiebitzeier schmecken übrigens sehr gut.

                                                                                              Deine Lotti.