Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 7. September 1942

den 7.9.42

Liebster Mann!

Nun schreibe ich Dir nach des Tages Last und Hitze, aber einem sehr schönen. Es ist ein wunderschönes, vergnügtes Arbeiten mit der Mu und Lisbeth, und wir freuen uns an der Arbeit und den Kindern gemeinsam. Durch kommen wir ja nicht, und für morgen ist schon wieder ein großes Programm vorgegeben.

Aber jetzt habe ich Feierabend gemacht und habe meinen rotkarierten Hausanzug an und will in einer halben Stunde ein Händelkonzert hören. Die Zeit dazwischen gehört Dir. Vor mir auf dem kleinen Tisch steht ein hübscher Strauß aus den verschiedensten bunten Blumen, den Tulita gestern der Helga zum Geburtstag mitgebracht hatte.

Heute habe ich ein paar Birnen eingemacht (das Pfund zu 40 Pfennigen, leider), und als ich einen Überschlag machte über das, was ich bisher eingeweckt habe, habe ich 51 große Gläser gezählt, die Marmelade nicht gerechnet und dazu 45 Pfund Fassbohnen. Es ist also doch allerlei zusammengekommen. Wir haben bei den Zuteilungen auch immer einen Teil eingemacht, so dass ich die verschiedensten Sachen in den Gläsern habe, Stachelbeeren, Kirschen, Birnen, Rhabarber, Tomaten, Bohnen und Gurken. Ich hatte richtig Spaß, wie die Gläser unten im Keller in Reih und Glied standen.

Für meine stümperhafte Klavierspielerei habe ich jetzt einen begeisterten Zuhörer in Lisbeth gefunden. Sie ist förmlich außer sich, wenn sie Klavier hört, sind es nun Übungen oder anderes (aus Schlagern macht sie sich nicht viel) und steht abends, wenn ich spiele, oft noch über eine halbe Stunde dabei, weil ich spiele. Sie sagt, wenn ich damals, als sie kam, öfter Klavier gespielt hätte, hätte sie kein Heimweh bekommen, so gerne hört sie Musik. Sie ist doch ein sehr stark empfindender Mensch, sehr wissbegierig und sehr aufgeschlossen allem, was schön ist. Für ein Mädchen ihres Standes eigentlich zu sehr, so dass es für sie schwer sein wird, einen Mann zu bekommen, der zu ihr passt. Dazu liebt sie das Land ungeheuer und kennt nichts Schöneres als Gartenarbeit.

Ich glaube, es ist doch gut, dass sie zu uns gekommen ist, auch für sie. Und so schön ist, dass sie nie Unordnung um sich sehen kann und immer wieder unverdrossen aufräumt, auch wenn die Kinder noch so viel durcheinander machen. Und bei Tisch ist sie auch so angenehm.

Eben habe ich eine Motte getötet. Ist es nicht blöd? Heute noch werde ich bei sowas belastet von dem Gedanken, dass ich es gewesen bin, der dieses Wesen getötet hat, das vor einem Augenblick noch fröhlich daherflatterte und das nun starr da liegt. Früher war diese Empfindung so stark, dass ich überhaupt kein Insekt töten konnte. Ich tue es jetzt, aber ich habe immer ein paar dumme Minuten, ehe ich wieder im Gleichmass bin.

den 10.

Eben kommt das Schreiben vom Finanzamt. Ich bitte Dich, es zu beantworten und mir eine Abschrift zu schicken.

August und Trude sind gestern wieder nach Godesberg gekommen. Sie wohnen jetzt bei Schauss. Das Bild meines Vaters ist fertig, und die Mu war ganz begeistert, weil er in das Gesicht den liebenswürdigen Zug gelegt hat, den Vater besaß. August hatte beim Malen eine enorme Ähnlichkeit mit mir entdeckt und hat sich neben der Fotografie daran gehalten. Unser Haus wächst sich so langsam zu einer Ahnengalerie aus.

Übrigens, dass Mutters Bild nicht so richtig geraten ist, ist auch Augustes Meinung. Trude meinte, wir sollten das Bild ins Esszimmer hängen, wo jetzt auch mein Bild hängt, dann fielen die Fehler des Bildes in dem hübschen Raum vielleicht nicht so auf wie oben, wo es allein an der Wand tront. Bist Du dafür? Mich stört eigentlich ein schlecht gemaltes Bild sehr.

Wir haben jetzt einen hübschen, nicht zu heißen Nachsommer, und ich hätte nichts dagegen, wenn das recht lange so bliebe.

Der Friseur Spittmann ist in Russland gefallen.

Nun wird gearbeitet, Pappi. Ich habe für heute schon wieder ein grosses Programm. Die Zahl der Weckgläser hat sich auf 58 erhöht. Heute wollen wir nun die Betten vor dem Winter klopfen und die Kindergarderobe durchsehen.

Beerenrat würde das Verlegen der Leitung in der Quellenstrasse übernehmen, aber ich finde niemand, der es ausschachtet. Was macht man da?

Deine Lotti