Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 26. August 1941

den 26.8.41

Liebster!

Heute ist eigentlich nur ein Stoßseufzer fällig. Stelle Dir Landregen seit Tagen vor. Im Garten hat sich eine große Pfütze gebildet, Grund genug, dass acht Paar Schuhe dastehen zum Trocknen. Die Pfütze eignet sich so herrlich zum Bötchenfahren, dass die Haue nicht nützen und jeder noch ein Paar Schuhe klatschnass machte. Dazu trocknen keine Windeln, und Jürgen hat Bu in allen Windeln und Anzügen. Jürgen und Klaus machen ihre Bettchen im Akkord nass, und ich bekomme sie bis zum Abend nicht trocken, die Wäsche aus der Wäscherei kommt nicht, mein Seifenpulver wird nicht reichen, Kartoffeln habe ich keine, Obst gibt es nicht. Jürgen hat eine Schraube verschluckt, Ulla hat den Schuhcrem verschmiert, aus Annelieses Tasche habe ich mein lange vermisstes zweites Elbeo-Hauchstrümpfe geholt und ihr den Kopf gewaschen, die Omi stöhnt über ihr verkauftes Haus, das Kinderzimmer sieht aus, als ob eine Granate eingeschlagen ist, Biederbick hat weder Käse noch Haferflocken noch Waschmittel, und Jürgen reißt von Tischen und Kommoden, was er kriegen kann. Dazu hat keins der Kinder mehr ein heiles Paar Strümpfe, abends wissen wir nicht, was wir den Kindern geben sollen. Magermilch kriege ich keine mehr, und die andere Milch wird den Tag über aufgebraucht, Heidi kommt jeden Tag mit einem neuen Riss im Kleid nach Hause - es könnte noch tausendmal länger werden.

Pappi, diesen Stoßseufzer schreibe ich mit einem lachenden Auge (weinenden Auges kann ich nicht sagen, denn so weit ist es nun wieder nicht, dafür sind die Kröppe zu süß). Wenn bloß die Treppen nicht wären. Ich spüre mein Herz wieder so, und das hindert einen bei der Arbeit. Wenn ich mich so recht des Abends ins Geschirr legen will und helfe, die Kinder oben ins Bett zu bringen, und muss dazwischen ein paar Mal die Treppen rauf-und runterturnen, dann wird mir das zu viel. Ich zerbreche mir den Kopf, wie man diesen Zustand auf die Dauer ändert. Weisst Du, wenn ich wüsste, dass der Krieg noch zwei Jahre dauert, dann würde ich das Büro tapezieren lassen (das Könnte ja für später bleiben) und würde alle drei Wohnzimmer nach unten verlegen, würde das grosse Zimmer hier als unser Schlafzimmer einrichten und das Biedermeierzimmer daneben würde das Zimmer für die drei kleinen. Die Grossen können ja oben schlafen. Die sind ja auch selbständig genug. Aber Klaus, Ursel und Jürgen sind diejenigen, die das viele Treppenlaufen verursachen.. Die beiden Wohnzimmer würden unten genau so eingerichtet wie in der ersten Etage. Aber das sind so Ideen, wenn ich immer zuviel gelaufen bin. Und später könnte ja alles bis auf das Büro so bleiben und das Wartezimmer müsste eben eins der beiden Wohnzimmer mit werden. Aber das lohnte sich eben nur, wenn der Krieg wirklich noch ein paar Jahre dauert.

Der Brief sollte um acht Uhr in den Kasten, aber das gelang nicht. Aber die Kinder sind wenigstens im Bett (Helga und Heidi erscheinen eben wieder und melden, dass sie Hunger haben. Ich weiß nicht, wie ich die großen Rangen sattkriegen soll.)

Die können jeder fünf Butterbrote am Abend essen, und das geht nicht. Ich habe noch zwei Überraschungen gehabt. Helga hat Klaus die Haare geschnitten, etwas, was mich nicht sehr aufregt, denn diese Überraschung korrigiert sich mit der Zeit selbst, aber das andere: Jürgen klettert im Bett am Gitter hoch. Das tat der dicke Klaus ja erst mit ungefähr drei Jahren und hatte dann wenigstens etwas Verstand. Jürgen ist unglaublich stolz und hängt immer dreiviertel über das Geländer rüber. Ich habe ihn angeschnallt, aber daraus hat er sich auch befreit. Jetzt muss ich mich wohl auf das Glück verlassen, dass er ungefährdet durch diesen Zustand durchschlindert.

Ich glaube, dass wenigen Leuten die Zeit so rast wie einer Mutti mit so vielen Kindern. Es ist so rasend schnell Abend, und eigentlich müsste der Tag erst angefangen haben.

Helga ist eben erschienen und gibt der Omi genaue Regeln für ihren Geburtstag. Sie wünscht sich brennend ein Täschchen und weiß genau, wo in der Stadt welche sind, was sie kosten und welche davon in den letzten Tagen verkauft sind. Nun schildert sie der Omi die Form, die ihre Tasche haben muss – Sie weiss sehr genau, was sie will.

Aber wenn Du kommst, müssen die Abendstunden uns gehören, wie in Husum. Eigentlich gehörte dir ja der Tag dort auch, denn ich hatte Zeit an Dich zu denken und tat das ausgiebig und ich muss sagen, in der Beziehung kamen die Kinder viel schlechter weg. An die dachte ich wohl auch aber nicht mit der Intensität. Aber hier dominieren sie und zwingen mich, den ganzen tag nur an sie und ihre Untaten zu denken, sodass ich kaum Zeit habe, viel an uns zurückzudenken, wenn es nicht in den ruhigen Abendstunden ist.

--- Nun ist es bald halb elf. Wir wollen noch etwas aufbleiben, denn gestern kam der Alarm schon um viertel nach elf Uhr. Omi hat Kakao gekocht und ich habe meine Trennarbeiten fertig, und nun erzählen wir beide uns noch ein bisschen. Heute sah ich in der Zeitung, dass in den Poppelsdorfer Lichtspielen den Film: ´Die Liebe des Maharadscha´ gegeben wird. Ich mag diesen Kitsch jetzt geradezu gut leiden und freute mich, als ich den Titel las, weil ich sofort in Husum war. Die alten Filme werden jetzt aus Mangel an neuen vorgeholt, sonst wäre doch hier so ein uralter Film nicht mehr gespielt worden. Wäre das in Godesberg, ich ginge nochmal hinein.

den 27.8.41

Heute nacht war wieder großer Rabatz. Wir haben von eins bis viertel nach vier in Keller gesessen. In Bonn ist allerlei runtergekommen. Frau Hillenbrand hat ihre drei kleinen Krug-Nichten bei sich, die anderen sind bei der Oma Ortsiefer. Sie sind heute nacht obdachlos geworden durch eine Sprengbombe, Heidi ist selig, dass sie eine neue Freundin hat, die allerdings vorläufig immer noch Trainingsanzug und Nachthemdchen anhat. Die Kleine sagt: "Die Mami weint, und der Pappi ist am graben."

Wir hatten am Tag große Wäsche, und die bunte Wäsche lag noch im Spülwasser. Meine fünf haben deshalb während des Alarms Waschtag gespielt, und Klaus hat dazwischen Anthrazit geschaufelt. Aber sie waren wenigstens munter und vergnügt während der Zeit.

Die können jeder fünf Butterbrote am Abend essen, und das geht nicht. Ich habe noch zwei Überraschungen gehabt. Helga hat Klaus die Haare geschnitten, etwas, was mich nicht sehr aufregt, denn diese Überraschung korrigiert sich mit der Zeit selbst, aber das andere: Jürgen klettert im Bett am Gitter hoch. Das tat der dicke Klaus ja erst mit ungefähr drei Jahren und hatte dann wenigstens etwas Verstand. Jürgen ist unglaublich stolz und hängt immer dreiviertel über das Geländer rüber. Ich habe ihn angeschnallt, aber daraus hat er sich auch befreit. Jetzt muss ich mich wohl auf das Glück verlassen, dass er ungefährdet durch diesen Zustand durchschlindert.

Ich glaube, dass wenigen Leuten die Zeit so rast wie einer Mutti mit so vielen Kindern. Es ist so rasend schnell Abend, und eigentlich müsste der Tag erst angefangen haben.

Helga ist eben erschienen und gibt der Omi genaue Regeln für ihren Geburtstag. Sie wünscht sich brennend ein Täschchen und weiß genau, wo in der Stadt welche sind, was sie kosten und welche davon in den letzten Tagen verkauft sind. Nun schildert sie der Omi die Form, die ihre Tasche haben muss – Sie weiss sehr genau, was sie will.

Aber wenn Du kommst, müssen die Abendstunden uns gehören, wie in Husum. Eigentlich gehörte dir ja der Tag dort auch, denn ich hatte Zeit an Dich zu denken und tat das ausgiebig und ich muss sagen, in der Beziehung kamen die Kinder viel schlechter weg. An die dachte ich wohl auch aber nicht mit der Intensität. Aber hier dominieren sie und zwingen mich, den ganzen tag nur an sie und ihre Untaten zu denken, sodass ich kaum Zeit habe, viel an uns zurückzudenken, wenn es nicht in den ruhigen Abendstunden ist.

--- Nun ist es bald halb elf. Wir wollen noch etwas aufbleiben, denn gestern kam der Alarm schon um viertel nach elf Uhr. Omi hat Kakao gekocht und ich habe meine Trennarbeiten fertig, und nun erzählen wir beide uns noch ein bisschen. Heute sah ich in der Zeitung, dass in den Poppelsdorfer Lichtspielen den Film: ´Die Liebe des Maharadscha´ gegeben wird. Ich mag diesen Kitsch jetzt geradezu gut leiden und freute mich, als ich den Titel las, weil ich sofort in Husum war. Die alten Filme werden jetzt aus Mangel an neuen vorgeholt, sonst wäre doch hier so ein uralter Film nicht mehr gespielt worden. Wäre das in Godesberg, ich ginge nochmal hinein.

den 27.8.41

Heute nacht war wieder großer Rabatz. Wir haben von eins bis viertel nach vier in Keller gesessen. In Bonn ist allerlei runtergekommen. Frau Hillenbrand hat ihre drei kleinen Krug-Nichten bei sich, die anderen sind bei der Oma Ortsiefer. Sie sind heute nacht obdachlos geworden durch eine Sprengbombe, Heidi ist selig, dass sie eine neue Freundin hat, die allerdings vorläufig immer noch Trainingsanzug und Nachthemdchen anhat. Die Kleine sagt: "Die Mami weint, und der Pappi ist am graben."

Wir hatten am Tag große Wäsche, und die bunte Wäsche lag noch im Spülwasser. Meine fünf haben deshalb während des Alarms Waschtag gespielt, und Klaus hat dazwischen Anthrazit geschaufelt. Aber sie waren wenigstens munter und vergnügt während der Zeit.