Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 16. Februar 1944

den 16.2.44

Mein liebster Mann! Heute kam nun der erste Brief, kurz, aber immerhin. Nun hatte ich ja auch gestern mit Dir telefoniert. Tröste Dich, wenn Deine Arbeit durch den Unteroffizier-Lehrgang wächst, so unsere auch durch die immer neuen Erschwerungen, die sich an ihn ankristallisieren. Aber davon will ich heute nicht sprechen, sondern lieber von den Kindern und was uns sonst an Freude bleibt.

Mutter geht es weiter gut, bloß kommt sie nirgends unter zur Erholung. Sie hat schon an alle erdenklichen Erholungsheime geschrieben, die aber alle absagten. Was machen wir nur mit ihr? Der Doktor will sie nicht nach Hause haben, weil er den lebhaften Haushalt für sie fürchtet und meint, eine Luftveränderung täte ihr auch gut.

Jürgen baut neben mir aus den Buchstützen dem Elefanten einen Stall und redet dabei süß und ohne Punkt und Komma. Und ich soll ihm immer wieder versichern, dass er ein lieber Junge ist. Unsere drei Schulkinder haben auch ihre Zeugnisse bekommen. Helga und Heidi haben hübsche, und bei Klaus steht: 'Der Anfang war befriedigend.' Da kann man auch nicht viel sagen. Heute sind sie auch zum zweiten Mal schutzgeimpft worden, und nun werden in den nächsten Tagen wohl die beiden Kleinen drankommen.

Ob ich wegen Helga mal zu dem Direktor der Oberschule gehe? Das hat wohl noch Zeit. Oder kommt das automatisch? Die Kinder haben in der Klasse nämlich angeben müssen, ob sie auf die Oberschule gehen oder in der Volksschule bleiben.

Gestern vor acht Tagen rief Dein Bundesbruder Kiekebusch an (Kurator/Kanzler der Uni Bonn WS 1943/44 u. SS 44) und bat mich, ob er wohl seine Anzüge bei uns zum Trocknen aufhängen könne. Wäre er an dem Freitag damals nicht nach Marburg gefahren und im Bett liegengeblieben, wie er eigentlich vorhatte, um seine Grippe auszukurieren, lebte er nicht mehr, denn das Haus, das ja in Kessenich steht, hat einen Volltreffer bekommen, und alle Bewohner, bis auf den Hausherrn selber, einen Universitätsprofessor, der an dem Morgen nicht zu

Hause war, sind tot. Die Anzüge sehen entsprechend aus.

Nun bringt er sie nach und nach nach Marburg und hat mir als Revanche Zwiebeln, Zigaretten, eine Flasche Piesporter und Sacharin mitgebracht. Er sagte, Du hättest damals gesagt, wenn er in Not sei, solle er sich an mich wenden. Dass das nun so schnell kommen würde, hätte er nicht geglaubt.

Das Wetter ist nun kalt und trübe geworden, ein Wetter, das alle Arbeitslust lähmt und bei dem man sich das Haus so behaglich wie möglich machen muss.

Besteht nun die Aussieht, Erbsen oder Porree zu bekommen? Hier gibt es wirklich nur einmal die Woche Gemüse, und der tägliche Küchenzettel ist eine Qual des Nachdenkens. Ich komme auch nicht mehr so gut wie früher mit den Nährmitteln aus. Ich merke, dass alle Kinder größer werden, aber die Rationen bleiben, unser Kartoffelberg schwindet auch erschreckend. Aber ich mache mir nicht mehr Gedanken wie nötig drum. Kommt Zeit, kommt Rat oder auch nicht. Ich gebe den Kleinen jetzt zusätzlich viel Lebertran, und Gottseidank nehmen sie ihn leidenschaftlich gerne.

Hansel schreibt, dass Mutter Heuse zu ihr ziehen will, weil sie jetzt schweren Bombenschaden in Berlin haben, aber seitdem hört sie nichts mehr von ihr. Nun macht sie sich Sorgen, und Berlin war ja nun wieder dran.

Ernst ist bei Nettuno. Auch das ist eine Sorge für Hansi. Ihr selber geht es nicht gut, aber sie wird erst sechs Wochen vor der Geburt freigelassen, und sie fühlt sich sehr elend. Von Schultzens hören wir sowieso nichts.

Draußen toben die Kinder. Es ist wirklich ein Glück, die frohen Stimmen zu hören und ihnen eine schöne Welt zu schaffen. Das ist Dank genug. Im übrigen musst Du jetzt zurückstehen, denn alle wollen ihre Butterbrote haben.

Viele liebe Küsse Deine Lotti