Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 27. Mai 1944

den 27.5.44

Und nun ist Pfingstsamstagabend halb elf. Ich habe gebadet, eine übrigens schauderhafte Zigarette geraucht, und nun muss ich die Zeit bis zum Alarm auf anständige Weise verbringen. Ich schreibe Dir also weiter. Am liebsten ginge ich ja ins Bett, es zieht mich richtig, aber es hat wirklich keinen Zweck.

Heute schrieben Schultzens. Bei dem letzten Angriff sind oben auf dem Berg 14 Bomben, jede eine 36 ltr. schwer, gefallen, die meisten Gottseidank in den Sand, aber ausgerechnet dem Hause Fritzen gegenüber, das ist Ecke Pettenkofer- und Jennerweg ist ein Volltreffer gelandet und hat neun Tote verursacht. Thea hat den Angriff nicht mitgemacht, sie

 

kam am Abend des Angriffes an. Sie schreibt, es sei schrecklich, auch alle die Menschen mit den 'zerstörten' Gesichtern zu sehen. Sie meint natürlich 'verstörten'. Sie schrieb dann zum Schluss: Hans lässt Dich grüßen, und er fügte hinzu in Klammer: 'mit Gottseidank unzerstörtem Gesicht.'

Meine Kinder geraten so langsam aus Rand und Band. Bloß Helga hat eine liebe Tour, die anderen wollen, aber können nicht. Dem Klaus habe ich heute den ersten richtigen Anzug gekauft. Das Wichtigste für ihn war, ob eine Innentasche vorhanden war. Sie war es aber leider nicht, worauf der schöne Anzug bedeutend an Interesse für ihn verlor.

Und das Schönste: Heute kam eine Kiste von Carels mit 50 Eiern an. Das war eine Freude!! Jetzt müsstest Du hier sein. lmmer meine ich, Du stehst eines Morgens da. Ich kann die Hoffnung nicht aufgeben.

Es ist drei Uhr und ich denke, dass ich gleich ins Bett gehen kann. Die Kinder brauchten wir nicht aufzunehmen. Leider lassen sie uns dann morgen früh nicht schlafen. Wie lange geht das Theater des nächtlichen Aufstehens eigentlich noch weiter? - Der Tag war heute nach einer anormalen Kälte heute ohne Übergang sehr warm. 23 Grad im Schatten. Alles ist verdreht.

Und nun ist Vorentwarnung.

Gute Nacht.

Pfingstsonntag

Ein wundervolles Pfingstwetter haben wir. Lisbeth habe ich die beiden Tage nach Hause geschickt. Vor mir stehen in einer weißen Porzelanvase blaue Iris aus dem Busch von Herr Becker. Sie blühen fabelhaft üppig. Trotzdem wir jetzt erst, am Mittag Vollalarm haben, ist der Drahtfunk schon den ganzen Morgen in Gang. Er setzt ein, wenn dicke Luft in Belgien ist und die scheint heute dort sehr dick zu sein.

Von Dir ist keine Post gekommen, dafür ein Brief von Frl. Peltzer und einer von Liselotte Remigier an Mutter. Sehr mieser Ersatz!! Frl. Peltzer schreibt alle paar Tage, furchtbar. –

Schon wieder Alarm. Bei dem herrlichen Wetter wagt man sich mit den Kindern nicht vor die Türe. Die Kinder holen jetzt voll alles nach, was sie in den Schlechtwettertagen versäumt haben. Und Helga und Heidi sind aus der kalten Badewanne Hals über Kopf in den Keller. Das Strandbad wird dieses Jahr überhaupt nicht geöffnet.