Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 13. Juli 1941

den 13.Juli 41

Liebster Harald!

heute morgen kam Dein schöner langer Brief mit dem Fahrtbericht. Du hast mir gründlich leidgetan, das kannst Du mir glauben und heute nachmittag, ganz wider Erwarten und doch leise erhofft, Dein Brief vom 12.

Ich meine, ich müsste kommen, wenn es auch eigentlich rechnerisch nicht geht. Ich habe auf dem Konto noch über 200.- Mk. zu verfügen, d.h. wenn ich die Ass-Abrechnung erst nächsten Monat machen würde, sonst ca. 60.- Mk. weniger. Ausgeben im Haushalt dürfte ich noch 100.- Mk. Die brauche ich auch bis zum Ersten. Es sind 2 ½ Wochen, davon rechne ich 70.- Mk. für Essen, 20.- Mk. für Licht und 10.- Mk. für alles andere. Das wird ja bestimmt überschritten, denn 10.- Mk. für alles andere ist unmöglich. Dazu ist der Haushalt zu gross. Die Hälfte der Kohle, 50.- Mk. habe ich noch nicht gezahlt. Die müsste ich dann (100.- Mk.) zum übernächsten Monat lassen. Ich würde dann mit 100.- Mk. losziehen und mir vom nächsten Familienunterhalt nochmal ca. 150.- Mk. schicken lassen. Denn das würde dort gebraucht. Dafür schaffe ich dann mir und den Kindern nichts für den Winter an. Wenn allerdings Blatzheim zahlte, hätte ich ja zweidrittel der Reise raus. Meinst Du ich solle es tun? Der Vorstand erlaubt es ja eigentlich nicht, aber das Gefühl doch, hauptsächlich auch noch, weil Du schriebst, dass sie Dich vielleicht nach Russland oder Norwegen tun.

Ich würde dann vielleicht Mitte der nächsten Woche kommen, vielleicht auch noch früher, sobald die Mu wieder da ist. Denn auf Urlaub von Dir kann man ja nicht rechnen. Pappi, soll ich leichtsinnig sein und kommen? Ich habe ja gefühlsmässig immer eine schwere Seite und die leichtsinnige muss ich mir erst sozusagen verstandesgemäss anknobeln. Bei Dir ist es ja umgekehrt. Sag mal, soll ich mir einen Schubs geben? Ich möchte es zu gerne.

Ist es praktischer, im Hotel zu wohnen mit voller Pension oder nur ein Zimmer zu nehmen und die Mahlzeiten woanders? Das Zimmer soll preiswert sein, aber doch auch so, dass man später noch gerne daran zurückdenkt. Denn es ist immerhin eine Erholungsreise. Aber die Zimmer an der See sind ja immer primitiv, auch wenn sie teuer sind. Da ist mir primitiv und billig lieber.

Die Mutter reist nun morgen. Anneliese ist normal, nur hat sie nicht immer das Benehmen und die Ausdrucksweise einer vollkommenen Lady und ist ein kölscher Tünnes. Aber ihre Fürsorge für die Familie ist nach wie vor die alte. Sie kann nur manchmal etwas grob mit den Kindern werden, und das fühle ich ihr nach. Stelle Dir einen Regennachmittag vor, sie hat den ganzen Tag geputzt, und in allen Zimmern fangen die Gören an zu spielen, zanken sich und bringen ihre Freunde mit dreckigen Stiefeln mit. Und wenn sie dann ins Kinderzimmer kommt, sind sämtliche Schränke und Schubladen ausgeräumt. Führst Du dann nicht auch aus der Haut? Aber nach fünf Minuten ist dann ihr Zorn vorflogen, und sie singt.

Außerdem hat die Mutter ja auch "die größten Bedenken“, die Kinder mir allein anzuver-trauen. Auf jeden Fall bin ich heute noch froh, dass ich Anneliese habe und sie mir nicht unsympathisch, im Gegenteil muss ich viel über sie lachen, sie ist eben ein kölscher Tünnes und hat, aber das kann ich ihr ja nicht verbieten, ein grosses Herz. Nun ist der Freund, den sie sich hier angeschafft hatte, übrigens ein gebildeter junger Mann, in Russland und die Sache ist natürlich damit aus. Mutter macht ihr nun sehr ernste Vorhaltungen; dass sie unter keinen Umständen einen neuen Freund haben darf und unsere gute Anneliese hat scheinbar doch wieder einen, wagt es jetzt aber hier nicht zu sagen. Dabei bekommt sie Feldpostbriefe, hat also ein Herz wie ein Bienenkorb. Aber das ist doch nun mal Dienstmädchenart und arbeiten tut sie trotzdem unverdrossen. Eine Schönheit ist sie ja nicht, aber ich bin jetzt heilfroh, dass ich sie habe. Ich möchte jetzt nicht auf Suche nach einem Mädchen gehen. Erstens bekäme ich keine, zweitens genügen mir Wolframms und Geslers Erlebnisse mit ihren durchaus.

Annelieses schlechte Seite ist, dass sie (allerdings nicht mehr so wie früher) laut ist und dass sie, wenn sie wütend auf die Kinder ist, schimpfen kann wie ein Korporal. Ihre guten Seiten sind, dass sie an mir und den Kindern hängt, dass sie unverdrossen arbeitet, dass man ihr eine Arbeit auftragen kann, und sie wird nicht vergessen, dass sie zur Not kochen kann, dass sie Wäsche und Kleider für die Kinder näht und dass sie vollkommen erhaben über die ihr zustehende Freizeit ist. Als Gegenleistung geht sie dann manchmal abends aus. Das taten die anderen auch und nahmen das nicht als Äquivalent für einen entgangenen Freinachmittag.

Der Mutter ist Anneliese nun mal ein Dorn im Auge, aber ich kann's nicht ändern. Tausendmal schlimmer wär's, wenn wir gar keine mehr hätten.

Ich bin jetzt mit meinen Gedanken mehr in Husum wie hier, Pappi. Ich meine, ich muss kommen.

Jetzt trinke ich Kaffee. Ihr habt wohl jetzt auch nicht mehr die Hitze. Nach dem gestrigen Gewitterregen ist es wunderschön abgekühlt.

Pappi, wenn ich komme, bringe ich meine hübschesten Kleider schon mit, das musst Du mir glauben. Neue habe ich ja nicht. Mit den Strümpfen musst Du Nachsicht haben, alle sind gestopft und haben lange Laufmaschennähte. Aber ich versuche schon seit Wochen, Strümpfe zu bekommen. Schiffers hatten Samstag welche, heute habe ich es erfahren, da waren schon keine mehr da.

Also, ich meine, ich komme, nicht? Deine Lotti