Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 15. März 1942

den 15.3.42

Liebster, lieber Mann!

Ich habe jetzt für zwei Stunden das Feld für mich allein. Die Omis sind im Film, die beiden Großen zu einer Freundin, und die beiden Kleinen spielen ruhig (vorläufig wenigstens) in ihrem Zimmer. Ich selber habe die richtige, behagliche Sonntagstimmung, habe eben Kaffee getrunken (mit vier Osterglocken, ich habe sie gekauft, weil ich erstens endlich einmal was vom Frühling sehen muss und zweitens endlich auch mal wieder in irgendeiner Weise was in meiner Wohnung anlegen wollte) und dazu eine Zigarette geraucht und die alten Hefte von der ´Dame´ und der ´neuen linie´ mit den Zimmereinrichtungen wieder vorgekramt und mich daran erfreut.

Heute empfinde ich das Zimmer wieder einmal stark als behagliche Insel im wüsten Getriebe des äusseren Lebens. Bücher, die Hefte, Wärme, eine Zigarette und die Blumen, es ist alles da. Und Du sollst auch dabei sein. Was magst Du jetzt so am Sonntagnachmittag tun? Und ob Du schon bessere Bekanntschaft mit den Anderen gemacht hast?

Gestern sah ich auf der Rheinallee Beppo Gesler in Uniform. Man hätte ihm einen Groschen schenken mögen, so sah er in der Landseruniform aus und dabei erbärmlich schlecht und mager. Er ist in ein Rüngsdorfer Lazarett gekommen und hat Samstags und Sonntags Urlaub. Erst ist er mal glücklich, dass er hier ist.

Gestern ist nun auch Herr Hillenbrand drangekommen. Er muss sich am 25. stellen und kommt zur Infanterie. Nun feiern Hillenbrands am laufenden Band Abschied und trinken den Restbestand ihres Weinkellers aus. Bloß Hauptmann Kühne rauft sich die Haare. Hillenbrand gab 26 Stunden und war Hausherr. Das Päda weiß bald nicht mehr, wie es weiter unterrichten soll.

(Die beiden Kleinen sind übrigens längst hier liegen auf der Erde und besehen Hefte). Klaus hat bei dem Matschwetter, denn der Schnee bequemt sich endlich zum Tauen, ewig nasse Füße. Meine Vorwürfe tat er gestern mit dem Einwand ab: "Die Pfützen sind mir gar nicht nass."

Vorgestern ist ja beim Alarm Köln angegriffen worden, hieß es im Wehrmachtsbericht. Wir haben jetzt auch Flak und ziemlich reichlich. Die hat zwei Stunden so geballert, das wir die Flugzeuge nicht hören konnten. Und sowas macht einen nervös, Unser Herr Stöwer stiftete dann seine Kaffeezuteilung, und er und die Omis tranken den und ich von Deinen Rum und haben so den Alarm einigermaßen hübsch hingebracht. Helga und Heidi kamen auch drüber zu, weil sie von dem Krachen aufgewacht waren. Die anderen Kleinen schliefen weiter.

Heute morgen war ich im letzten Redoutenkonzert. Lisbeth Hessel hat, mir ihre Karte gegeben. Das Zilcherquartett spielte, und ich habe nicht nur dem Konzert zugehört, sondern

auch sehr viel an Dich gedacht und an ein Wiedersehen, vielleicht schon im nächsten Monat und an unsere Zukunft und daran, wenn unsere Kinder gross werden und daran, dass vorerst aber wir noch jung sind und wir das Spiel haben. Augenblicklich ja auch wieder nicht, was das persönliche Leben angeht. Ach Harald, ich vermisse Dich ja oft so sehr und unser Zusammensein, unsere Gespräche und schönen Abende und alles. Und immer wieder lässt der Masstab Russland alles, was einem schwer dünkt, nichtig werden und man merkt, wie gut man es gegenüber vielen Anderen in diesem Krieg hat.

(Ich habe wieder alle vier bei mir und deshalb keine Konzentration zum Schreiben).

Jetzt müsste bald die Frühjahrsgarderobe instandgesetzt werden. Ich habe diesmal überhaupt kein Interesse daran. Ist es, weil Du nicht da bist? Oder der Krieg im Allgemeinen oder der kleine Geldbeutel? Oder fange ich an, alt und weise zu werden?

Und jetzt muss ich Jürgen verbinden gehen. 1000 Küsse Deine Lotti