Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 28. Oktober 1943

den 28.10.43

LiebsterMann!

Einen Brief bekommst du doch, auch wenn ich eigentlich keine Zeit habe. Zeit wird immer knapper, es ist regelrecht Mangelware geworden, und den anderen jungen Frauen geht es genau sowie mir. Wir wüssten schon gar nicht mehr, wie wir eine Einladung unterbringen sollten, so mitgerissen werden wir vom Strudel des täglichen Kleinkrams. Entweder kriegen wir weniger fertig als früher, oder die Anforderungen wachsen. Es ist das letztere.

Nun stehen auf der Straße vier große Mülleimer von uns, randvoll mit Abfall und Asche gefüllt, und eben war ein Mann da, der sagte, dass die Mülleimer in den nächsten vier Wochen nicht gelehrt werden können.

Wahrscheinlich werden die Autos auf Holzfeuerung umgebaut. Nun sage mir bloß, wo soll ich mit dem vielen Abfall hin? Und das mehrere Wochen lang. Eine Wagen haben wir nicht , um die Abfälle wegzufahren, an den Rhein schleppen können wir sie nicht, weil sie zu schwer sind. Wir werden wohl zuerst mal für diese vier ein Loch hinter dem Haus graben und dann sehen, wie es weitergeht.

Jetzt ist es halb fünf. Ich müsste jetzt noch zu Jülich, zu Biederbick, Heidis Kopf waschen, mit Helga Klavier üben, und all das müsste bis halb sechs geschehen sein, denn dann fängt das Abendessenbereiten für die Kinder, für die Großen an und das Waschen der Dreckspätze.

Du armer Vierkartoffelmann! Dann musst Du tüchtig essen, wenn Du hierher kommst.

Ich habe heute bei Frau Hillenbrand, die Haus Profka während der Ferien jetzt mit einem Mädchen betreut, die Portionen gesehen, die dort für zwei Personen von der Küche geschickt werden. Es war Tomatensuppe ("Probieren Sie mal, was für einen Dreck die sich zusammmenkocht haben") und mein kleines Aluminiumtöpfchen , 15 cm Durchmesser, gefüllt mit Wirsing und Kartoffeln, also für jeden einen Teller. Die armen Jungen , wenn die davon existieren müssen. Wir haben übrigens unsere Kartoffeln im Keller, Gottseidank. Sie sind leider fast alle sehr klein dieses Jahr, so dass wir viel

Abfall haben werden, faulen auch stellenweise, und im übrigen sind es neun Zentner weniger. Wir müssen also auch vorsichtiger sein.

Liebster Mann, solltest Du von Erwin Stoltenhoff noch Saccharin kriegen, so würde ich mich sehr darüber freuen. Komischerweise kommen wir nicht mehr mit dem Zucker aus, aber das kommt auch daher, dass man den Mangel an Fleisch abends sehr oft mit süßen Suppen und Mehlspeisen ersetzt.

Ich wünsche, wir hätten den Ersten. Ich bin so abgerissen wie selten, und das Geld zum Esseneinkaufen muss ja da sein. Aber in vier Tagen bin ich ja wieder flott.

Dabei fällt mir die Abzahlung nach Kassel ein und dass Tante Lina heute geschrieben hat, Kassel stünde nicht mehr. Wilhelmshöher Allee, Königsplatz, Ständehaus, die Schlösser, Hauptpost, Bahnhof, alles sei zerstört, es sei eine furchtbare Nacht gewesen.

Dann schrieb sie auch, dass Banthiens nun schon beinahe ein Vierteljahr nichts mehr von Detlev gehört hätten und dass Detta sechs Mann Bombengeschädigte ins Haus bekommt.

Ach Paps, auf unser Wiedersehn freue ich mich wie auf eine Oase in der Wüste.    

                                                                                                                                    den 29.  

Nun ist der Brief wieder mal seit gestern in der Maschine. Er sollte heute morgen fertiggeschrieben werden. Nun ja. Heute nachmittag musste ich dann erst zu Fräulein Hunscheidt, die nach mir verlangte, und dann kam ein Fräulein Heckmann und wollte mit mir einen Mietvertrag über die Wohnung von Frau Gunkel machen. Wodurch ich erst erfuhr, dass Frau Gunkel auszieht und eine neue Mieterin da ist. Alles das ist nicht mit mir, sondern mit Herrn Bahn festgemacht worden. Nachdem alles perfekt ist, kommen sie zu mir, weil ja schließlich der Mietvertrag vom Hausbesitzer unterschrieben werden muss. Ich habe Ja und Amen gesagt, denn erstens ist es mir egal, wer sich jetzt mit Frau Heck zankt, und zweitens möchte ich den Kram ja doch los sein. Ich habe auch so genug um die Ohren. Wenn Du kommst, musst Du wohl nochmal mahnen, denn die Firma meldet sich weder mit einer Antwort noch mit Geld.

Die Bücher habe ich noch nicht besorgt, weil ich erst den Ersten abwarten muss.

Das Paket schicke ich dann, sobald die Hemden gebügelt sind, das wird wohl morgen geschehen.

Abends bin ich manchmal wie ausgepumpt. Nun muss ich leider noch die Großen ins Bett bugsieren.

Din Lött