Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 30. September 1942

den 30.9.42

Liebster Mann!

Heute, nach fast drei Wochen, habe ich wieder Post von Dir bekommen, oder vielmehr zweieinhalb. Ich schreibe nun wieder und lasse den Brief liegen, bis Du die neue (Feldpost-) Nummer mitteilst.

Harald, ich freue mich auf die "lieben" Briefe. Ich hätte die nötig, denn ich konnte mir keine Erklärung zu Deinem langen Schweigen machen, und ich bin auch nicht immer sanft gesonnen, wenn ich so vor mich allein hinbruddele. Lieber, lieber Mann, lass uns fest zusammengehören und hilf mir.

Ich hatte Dich heute am Telefon nicht richtig verstanden. Geht Ihr morgen schon nach St? Oder bleibst Du noch länger in Jever? Ist es nicht schade, dass ich mir jetzt nicht mehr vorstellen kann, in welchen Straßen Du rumläufst? In Jever war mir fast jeder Katzenkopf auf dem Markt in Erinnerung geblieben und oft sah ich Dich in Gedanken quer über den Markt gehen und den Weg entlang zu Carels und den Jeverer Wald und den rappeligen Omnibus, der nach dem Horst fuhr. Tut es Dir nicht auch leid, dass du wegmusst? Jever ist doch ein niedliches Städtchen, finde ich.

Mit dem linken Ohr höre ich Goebbels reden. Darum wird dieser Brief in Etappen geschrieben. Eben ist auch meine Tochter Helga erst ins Bett gegangen. Die Dame bleibt immer bis neun Uhr auf neuerdings. Aber sie ist so reizend dabei, dass die Mu und ich sie gerne um uns haben. In der Klavierstunde macht sie gute Fortschritte und hat die kleine Friend, die schon zwei Monate länger Stunde hat, eingeholt. Fräulein Hunscheidt ist ganz entzückt von ihr, und Helga sagte heute, sie hätte ihr erlaubt, Tante Hunscheidt und Du zu ihr zu sagen. Aber sie geniert sich, es zu tun. Fräulein Hunscheidt überträgt die Zuneigung, die sie damals für mich hatte, jetzt auf meine Tochter.

Denke dran, dass unser Heidikind am 18.Oktober Geburtstag hat. Von ihr kann ich augenblicklich nicht viel erzählen, von den anderen auch nicht. Bloß Jürgen entwickelt sich in der letzten Zeit auffallend. Er wechselt aber immer noch so sehr mit seinen Gunstbezeugungen. Im Umsehen hat man eine Ohrfeige, dass einem die Funken aus den Augen sprühen.

Hüllen liefert uns also diesesmal die Kartoffeln. Wir haben 36 Zentner zu bekommen. Ist das nicht ein bisschen viel? Besonders, wo sie dieses Jahr scheinbar 5.- Mk. kosten werden

1000 Küsse, Deine Lotti

statt wie sonst 3,50?

Morgen macht Hansi ihr Examen. Sie wird dann in den Warthegau gehen. Seit Deiner Wegreise trage ich nun einen Knoten, teils aus Sparsamkeits, teils aus Zeitmangelgründen. Was glaubst Du, was ich von Deinen großen Töchtern deswegen zu hören bekomme: Die naseweise Helga sagt z.B., wenn ich ihr Falschspielen an Klavier rüge: "Ja, wenn ich Deinen Knoten sehe, dann werden meine Hände schwach und dann kann ich nicht mehr spielen.“ Helga sagt, sie will unter allen Umständen durchsetzen, dass ich mir wieder Locken mache, so lange will sie mich quälen. Omi Endemann wird wahrscheinlich in Freudentränen ausbrechen, dass ich den Knoten endlich habe. Ich glaube, ich schliesse einen Kompromiss. Wenn Du wieder da bist, gehe ich wieder öfter zum Friseur und jetzt bleibe ich der Einfachheit halber bei der Rolle, denn das ist sie mehr als ein Knoten.

 

Den 2.10.42

Liebster, heute habe ich zwei Briefe von Dir bekommen.. Es ist, wie wenn Regen auf dürres Land kommt, auch wenn sie nur kurz sein können. Ich schicke diesen Brief nun wieder an die alte Feldpostnummer, weil ich die neue nicht weiss. Ein Paket würde ich Dir auch gerne schicken, aber es klebte keine Marke im Brief, es hatte da eine geklebt. Schickst Du nun eine oder eine Privatadresse, an die ich Hosenträger und Schuhe schicken soll?

Wie ist das mit der Kolchosenverwaltung? Vergewissere Dich mal, ob es nur für Kriegsdauer ist und wie die Gehaltsfrage ist, weil Du ja eine grosse Familie hättest. Wenn es nur für Kriegsdauer ist und die anderen Bedingungen annehmlich sind, wäre es vielleicht schön. Vielleicht bleibst Du aber noch besser als Gefreiter in Stade. Es ist nicht so primitiv. Vielleicht wartet aber auch eine für Dich befriedigende Tätigkeit dort im Osten. Erkundige Dich mal ganz genau.

Ich lege Dir hier den Postabschnitt über die 50.-Mk. bei.

Ebenso schicke ich Dir ein paar Abrechnungen Salvini. Ich hatte es übrigens schon vor. Du hattest damals gesagt, es müsse so gemacht werden, aber vielleicht habe ich Schaf es auch nur falsch verstanden. Rechnen und Abrechnungen waren ja nie meine Stärke, mein Herr, diesen Fehler müssen Sie in Geduld mit mir tragen.

Ach Lieber, Liebster, ich küsse Dich und halte Dich lieb und möchte, dass Du hier bist. Ich zähle schon die Wochen bis Silvester. Wenn es erst 10 Wochen heisst, dann wird die Zeit immer kürzer und besser auszuhalten.

Das Wetter hier ist nach einigen sehr kalten Tagen warm und sommerlich geworden. Wir trinken jeden Nachmittag auf dem Balkon Kaffee und haben die Sommerkleider an.

Hansi hat das Examen bestanden, Frau Fitschen ist gestorben.