Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 14. Dezember 1944

14.12.44

Mein liebes Lottenfrauchen,

ich sitze hier auf meiner Reise zum neuen Einsatzort auf irgend einem Bahnhof und muß mal wieder stundenlang auf einen Zug warten, der mich 2 oder 3 Stationen weiterbringen soll. Seit Montag bin ich nun mit Erich Ehlen und einer großem scheußlich schweren Kiste unterwegs. Als wir gestern auf der Strecke Kassel Frankfurt wegen der Sperrung der Strecke bei Gießen kehrt machen mußten, sind wir bei Lenchen in Frielendorf eingefallen und haben dort nach den Kindern gesehen. Es geht beiden sehr gut. Ursel hat sich vollkommen eingelebt und macht einen vollkommen zufriedenen und frohen Eindruck. Sie hat sich vor allem das Herz von Tante Lina erobert. Sie zeigte mir eine Tafel voller geschriebener Worte. Das waren ihre Schulaufgaben. Es sah noch etwas sehr ungelenk aus. Helga war noch blaß und sagte mir heimlich, daß sie sich langweile. Sie mache sich immer Sorgen um Dich und um mich. Kurz gesagt, sie hat Heimweh und kaut daran herum. Ich hatte gehofft Du wärest in der Zwischen(zeit) mal in Frielendorf gewesen, um Sachen hinzubringen. Ich weiß nicht recht,wie Du das mit einem Mal alles schaffen willst. Ich glaube sie wissen jetzt beide

ziemlich genau, daß wir um eine Räumung nicht mehr herumkommen, so sehr ich gehofft hatte, daß sie sich noch herausschieben lasse. Bitter, bitter! Hans Meyer sagte mir auch, daß der Bürgermeister von F. unsere beiden Kinder nur als Besuch gelten läßt (,) daß F. Hunderte von neuen Evakuierten bekommen habe und daß infolgedessen die ernste Gefahr bestünde, daß die Räume, die er abgeben müsse anderweitig beschlagnahmt würden. Eine Entscheidung muß aber sehr bald fallen. Ich hoffe, daß Hans B. Dir telegraphiert hat. Wir müssen uns also bald entscheiden, sonst machen wir allen Schwierigkeiten. Wann werde ich wohl wieder Post bekommen von Dir. Ich weiß immer noch nicht, immer noch nicht, wie unser neues Luftgaupostamt heißt.Es kommt Frankfurt/M. oder Wiesbaden in Frage. Schreibe mir bitte auch, wie lange dieser Brief zu Dir gebraucht hat und wie es jetzt bei Euch aussieht. Hier hören wir den Kanonendonner auch, aber noch weiter weg als bei uns in G. Ich wundere mich, daß die Eisenbahn hier trotz vieler Unregelmäßigkeiten immer noch geht. Ursel hat, das kann ich Dir zur Beruhigung schreiben, die Masern nicht gehabt. Wie geht es denn dem armen Jürgen. Hoffentlich hat er sie inzwischen gut überstanden. Wie soll alles nun werden. Ich drehe mich mit meinen Gedanken immer im Kreise herum. Nun geht mein Zug doch bald. Leb wohl, liebes Lottenkind. Ich küsse Dich lieb und innig, viele, viele Mal.  

Dein Harald