Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 20. Februar 1945

den 20.2.45

Mein lieber, lieber Harald!

Ich muss schreiben und weiß doch nicht was. Aber ich möchte bei Dir sein. Was könnte ich schon schreiben? Dass es nur noch ein Thema gibt, mit wem man auch zusammenkommt, dass alles trostlos, aussichtslos, traurig und gleichgültig ist, dass es niemand gibt, der einem ein bisschen Mut macht, im Gegenteil, jeder erwartet es vom anderen.

Von Thea und Hansi haben wir Nachricht. Hansi ist mit dem Flüchtlingstransport aus Stettin weg und zuerst nach Dessau zu ihrer Schwägerin, damit Ulrike sich von den Strapazen der Flucht erholt. Thea schrieb am 5.2., dass sie auf gepackten Koffern sitzt, aber nicht raus kann, weil alles ge-

sperrt sei. Ein himmlisches Gefühl, schreibt sie, die Russen 25 km vor Stettin. Jochen ist von Hansens Sekretärin nach Hamburg gebracht worden, und Thea will versuchen, per Schiff nach dort zu kommen. Hans muss dort bleiben. Ich war gestern ganz krank, weil ich immer an die Stettiner denken musste.

Dann suchte ich nochmal Frau Sprock auf, die mit ihren vier Kindern heute morgen mit einem LKW bis Schwerte mitgenommen worden ist. Von dort aus will sie sehen, wie sie zu ihrer Schwester nach Meppen kommt. Sie hat die vierzehn Tage nach der Zerstörung des Hauses hier mit den Kindern in einer kleinen Mansarde gehaust. Aber es sah wirklich aus wie eine Wohnung in Russland. Und was hatte sie für ein reizendes Haus gehabt.

Herr Tenter ist gestern auf Urlaub ge-

kommen. War ich neidisch!! Könnte das nicht auch bei uns der Fall sein?

Jedermann ist von einer „festen Siegeszuversicht“ und von „fanatischem Kampfgeist“ erfüllt. Du kannst sprechen, wen Du willst.

Ach Harald, Ich bin so niedergeschlagen. Irgendwie versagen die Nerven. Post würde mich mächtig aufmuntern. Ich möchte nur mit Dir zusammen sein, ganz zusammen, und alle Probleme der Welt bei dir vergessen. Ich kann sie ja doch nicht lösen und laufe wie ein Pferd im Göpel immer in denselben Gedanken herum,. Ich bin deshalb ganz verzweifelt. Ich kann mich zu keiner richtigen Arbeit konzentrieren. Und dabei habe ich solche Sehnsucht nach Dir.

Ich habe jetzt zwei Hitlerjungen hier an Abenden, die hier mit 800 anderen zum Schanzen sind. Abends sitzen sie über meinen Büchern. es sind nette Kerle, ganz besonders nett sogar, wenn ich die anderen Lulatsche betrachte. Sie sind 16 Jahre und auf der LB.A.

Mein Daumen will noch nicht richtig. Die Wunde ist zwar sehr schnell und ohne Komplikationen verheilt, aber ich habe Schmerzen im Arm, wenn ich ihn (den Daumen) bewege. Ich halte das für Sehnenschwerzen. Ich kann den Daumen auch nicht gerade biegen. Aber der Arzt meinte, das käme mit der Zeit. Ich muß Geduld haben.

[Rest fehlt]

(Stettin war Festungsstadt und durfte nicht verlassen werden. Thea schaffte es illegal mit einem Militärtransport; Hans bekam eine Dienstreisegenehmigung zu seiner Reedereizentrale nach Hamburg. Auskunft von Jochen Schultz)