Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 21. Juni 1942

den 21.6.42

Mein lieber, lieber Mann!

Nun fängt die olle Briefschreiberei wieder an. Ich habe es gedanklich schon seit vorgestern abend gemacht. Als ich Dich weggebracht hatte und nach Hause ging, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es so war, viel lebhafter war mir die Vorstellung, ich käme jetzt von Besorgungen aus der Stadt zurück, und Du seiest im Vorgarten oder säßest auf der Couch. Im Film bin ich abends nicht gewesen, ich hatte nicht die richtige Lust dazu.

Das Wetter ist nun wieder wunderschön geworden, sonnig und dabei nicht so sehr warm, gerade, wie es für Dich richtig wäre. Wie war Deine Fahrt? Denk mal, ich bin die ganze Nacht überhaupt nicht aufgewacht und konnte deshalb auch nicht an Dich denken. schäbig, was? Schrecklich prosaisch.

Und gestern abend war auch nun der Vesdepabend, sehr gemütlich, wenn auch nicht mit hochgehenden Wogen, da in der Hauptsache Hausherren und Hausdamen da waren. Es gab sehr gute Weine, die gestiftet waren. Die Kölner, Fuss Öbel, Eisfeller usw., brachen schon um neun Uhr auf, weil die letzte Bahn nach Köln um halb 10 fährt und weil sie von dort aus noch sehr schwierig in die Vororte müssen. Da aufgehender Mond ist, wollten sie ihre Familien nicht allein lassen. Und das letzte Mal, meinte der Fuss, war's ja um viertel nach zwölf schon passiert, da stand nur noch die Hälfte. Vollmar las authentische Zahlen vor: l60 000 Obdachlose, 25 000 Familien, die alles verloren haben, 243 Sprengbomben, 20 Luftminen 120 000 Brandbomben, 11 000 Brände usw.

Siefken erzählte mir, dass in dieser Woche noch Leute aus den Kellern geholt wurden, die sich von Konserven und Kartoffeln im Keller ernährt hätten, überhaupt Herr Siefken. Er liefert mir morgen zwei Zentner Kartoffeln, weil er meint, mit fünf Pfund auszukommen, sei unmöglich. Das Päda hätte das mal drei Wochen gemusst, und das sei eine sehr hungrige Zeit gewesen.

Dann etwas, was Dich interessiert. Der Vorstand des Vesdep will, damit etwas da ist, wenn sie alle so langsam ins Jenseits gehen, ein Buch herausgeben, nur für die Mitglieder bestimmt, das alles Mögliche enthält: Aus der Geschichte des Päda, Erzählungen und Streiche und Anekdoten. Jeder, dem irgendwas einfällt, soll es aufschreiben und an das Vesdepbüro schicken. Papier und alles liegt bereit. Wäre das nicht auch was für Deine stillen Stunden, Pappi? Du weißt doch so viel, was man aufschreiben könnte.

Eben kommt Ursel Siefken und bringt eine Menge Brotmarken. Dann hat Herr Siefken sicher beim Morgenkaffee erzählt, dass wir so schrecklich knapp sind. Dabei hatte ich das auf keine Weise so gemacht, dass er auf die Idee kommen sollte, uns zu helfen. Ich hatte überhaupt nicht die Möglichkeit ins Auge gefasst,

weil mir das gar nicht liegt. Aber wir haben uns sehr nett auf dem Heimweg unterhalten. Wirtschaftsleiter vom Päda sein ist im Krieg doch eine gute Sache.

Morgen will ich mit dem Hausputz in den Wohnzimmern anfangen, schon im Hinblick auf meine eventuelle Reise. Ich bin nun gespannt, was Du mir schreibst. Wenn ich zuerst nach Stattin gehen sollte, würde ich wohl nächsten Montag fahren. Blos die pekuniäre Frage. Aber irgendwie wird sie unwesentlich, denn ich fühle ja doch, dass ich eine Erholung brauchen könnte und die Reise zu Dir muss ja erst recht sein, meine ich. Jetzt, nachdem wir länger zusammen gewesen sind, beinahe gerade, meinst Du nicht auch?

Ab morgen gibt es für Mangelware in Obst und Gemüse eine Kundenliste, in die man sich beim Gemüsehändler eintragen muss, und dann werden die Nummern, genau wie beim Fisch, in der Zeitung aufgerufen und man bekommt dann sein Obst oder Gemüse.. Unter Mangelware rangiert so ziemlich alles außer Wirsing und im Herbst Möhren.

Heute abend will ich nun in den Film gehen. Heute nachmittag machen wir mit den Kindern einen großen Spaziergang. Hansi und die Mu sind eben zur Omi Endemann.

Und ich muss in den Haushalt. Und das war nun der erste Brief einer neuen Kette. Und trotzdem ist mir Deine Gegenwart noch so deutlich, dass ich mir viel besser denken kann, Du seist hier irgendwo im Haus und ich müsse jetzt gleich zu Dir, als Dich irgendwo weit weg in Jever zu wissen. Weißt Du übrigens, dass dort in der Nähe Herrn Siefkens Heimat ist? Er kriegte richtiges Heimweh, als er davon hörte. Morgen wird übrigens das Päda von einer Kommission nochmal durchgekämmt nach Leuten, die zu den Soldaten sollen. Viele liebe Küsse, Deine Lotti