Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 16. Februar 1941

Sch., den 16. III. 41

Mein süßes Lottenkind,

Hoffentlich trifft Dich dieser Brief wieder bei voller Gesundheit und guter Laune. Ich habe Angst Du könntest Dich zu früh heraus gemacht haben. Eine Grippe braucht (unleserlich) ihrer Zeit und wenn sie nicht ausgeheilt wird, schlägt man sich lange mit den Folgen herum. Ich möchte nun nicht, dass mein Urlaub noch darunter leiden müsste. Wie du siehst, bin ich trotz aller Sorge immer noch ein gefährlicher (unleserlich). Wenn du noch nicht ganz auf dem Damm bist, dann verschwinde gleich nochmal, einen Tag im Bett mit heißem (unleserlich) u.s.w.

Hier wütet die Grippe auch. Die Schulen sind geschlossen und alle Welt hat Fieber und hustet. Die englischen Angriffe auf Holland haben uns nicht betroffen außer einer wüsten Flackschießerei(!) . Weist(!) Du noch wie die schwere Flack zwischen Godesb. Und Bonn stand. Das schmetterte doch ganz ordentlich, obwohl sie 3-4 km weg stand. Hier steht noch schwerere Flack keine 800 m von uns. Wenn sie schießt, dann springen bei uns die Türen auf, der Ofen hüpft und das ganze Haus bekommt bei jedem Schuss einen Stoß, dass wir fast aus den Betten fliegen. Aber es ist ja Krieg und etwas muss man ja davon merken. Unsere Jagdflieger und vor allem die Kampfflieger (=Bomber) merken erheblich mehr davon. Es kam jetzt einer zurück, der hatte beinahe 200 Einschüsse in der Maschine. Die von hier ein-

gesetzte Ju 88 ist eine großartige Maschine, sie ist sehr schnell, schleppt unglaubliches Gewicht (alles Landminen) und kann im Winkel von 40-50° Sturzflugangriffe machen.

Ein in den letzten Tagen hier abgeschossene Tommy, eine Bristol-Beaufort, war mit Stoff bespannt. Mit sowas fliegen die Engländer noch. Wir haben nur Ganzmetallflugzeuge. Es kommen doch immer mehr Anzeichen, dass es dem „Vetter“ überm Kanal dreckig geht.

Ach Lottenkind, ich warte so auf das Urlaubsgesuch vom W.B.K. Bonn. Uffz. Lucht kommt übermorgen vom Urlaub zurück. Das wäre die beste Zeit. Hoffentlich bekomme ich 10 Tage, damit auch 2 bis 3 für uns dabei abfallen. Ich geizte schon jetzt mit der Zeit. Wenn man mal so viel Zeit hat einfach wegwerfen müssen, wie ich in der Amsterdamer und Berliner Zeit, dann bekommt man einen richtigen Wertmesser für ihren Wert. Ich setze jetzt keine Minute mehr unruhig, wenn ich mal (unleserlich) habe, es ist nur abends, dann schreibe ich, oder ich lese. Selbst die Unterhaltung erscheint mir fad. Mit Dir könnte ich tagelang plaudern. Ich bin randvoll und geradezu geladen. In den letzten beiden Tagen habe ich alte Briefschulden beglichen. Auch die drücken mich jetzt. Früher hat mich das kalt gelassen.

Thea hat mir eine überaus große Freude gemacht. Sie schickte mir ein reizendes kleines Album mit Bildern aus den vorjährigen Sommerferien unserer Kinder. Famose Aufnahmen. Ich müsste sie Dir eigentlich schicken, aber ich kann mich noch nicht davon trennen. Lichtschlag hat eine Lupe, und mit deren Hilfe er gründe ich die letzten Ein-

zelheiten jeden Bildes. Die Idee von Thea ist zu reizend. Ich will ja gleich anschließend dafür danken.

Ich habe von der Umgebung hier noch nicht mehr gesehen, als ich von den Fenstern des Gefechtsstandes und der Unterkunft aus sehen kann, wenn ich abends vom Dienst komme, war es bisher dunkel und jetzt dämmrig. Ich möchte so gern mal spazieren gehen, aber im Dunkeln würde ich mich verlaufen. Na, wenn ich in Urlaub komme! Ist mein Rad in Ordnung? Kannst Du Dir für die Zeit eins leihen? Vielleicht von Lenni? Die komische Tulpe hat doch weiß Gott, immer noch nicht geschrieben. Nicht mal ne Karte. Hätte ich es früher nicht genau so gemacht, dann hätte ich gar kein Verständnis für Sie.

Hat Mutter meinen Brief bekommen und wie geht es ihr. Sie überschlägt sich ja auch nicht gerade im Briefschreiben und hat doch mehr Zeit und Sammlung wie ich..

Der alte Onkel geht mir nicht aus dem Sinn. Ob er noch lebt? Bei seiner trotz aller Gebrechen starken Gesundheit erholt er sich vielleicht noch mal. Ob man es ihm wünschen soll? Bei dem Gedanken an Onkel und das was ihm bevorsteht, regt sich bei mir wieder ein ganz unbändiges Lebensgefühl und ein fast unbeschreiblicher Lebenshunger. Ich sitze hier wie ein Raubvogel im Käfig. Ich möchte Bäume ausreißen und muss Streichhölzer knicken. Aber vielleicht bringt mir diese Lage erst die Erkenntnis, die mir bis jetzt gefehlt hat. Nur nicht wieder zurück sinken in den alten Schlendrian. Dabei musst auch Du helfen, Lotting, wenn ich wieder auf der weichen Couch liegen will. Soldat sein

ist doch gut, nur besser mit 20 Jahren.

Mir sind da jetzt Listen des Luftfahrtministeriums durch die Hände gegangen, in denen Bücher, die für den Soldaten ganz besonders geeignet sein sollen, aufgezählt sind. Gott was für ein Sammelsurium von Mittelmäßigkeit. Aber einige Sachen habe ich mir doch angestrichen, die mich interessieren würden. Kannst du sie vielleicht bei Linz bestellen?

1) Wie sieht uns der Engländer v. Theodor Seibert? Verl. Zentralverl. Der N.S.DA.P. Preis 0,80 Mk
2) Vom Kriege (Eine Auswahl) G v. Clausewitz. Verl. Koehler & Amelung Leipzig 1940 = 2 Mk

Wild. Lichtschlag betrachtet gerade das Bild meines Vaters und sagt: ich hätte doch viel von ihm mitbekommen. Er meint natürlich äußerlich. Er ist mir gerade jetzt in vielem Vorbild geworden. Seine anständige Gesinnung – ich stehe hier in einer ziemlich schlüpfrigen Umgebung – sein Pflichtbewustsein (!) und ich bin unheimlich stolz auf ihn. Aus meiner Erbmasse heraus muss ich das auch können, was er gekonnt hat. Ich bin dabei es zu versuchen.

Leb wohl, mein herztausiger Schatz und grüß mir die Brut und die Mutter und alle die im Hause sind.

Dein Harald.

Schuchard hat mir geschrieben. Ruf ihn bitte an. Ich weiß nicht wann ich dazu komme ihm zu antworten.