Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 6. Oktober 1944

den 6.10.44

Mein lieber Mann!

Heute kamen wieder zwei Briefe von Dir, und zwar vom 29.9, während die gestrigen vom 2. 10. waren. Ich schreibe jetzt grundsätzlich mit Durchschlag und hoffe, dass dann ein Brief immer ankommt.

Ich hatte Dir gestern meine Bedenken geschrieben wegen der Verschickung der beiden Jüngsten. Ich habe in dem Fall nur noch drei Kinder im haus über sechs Jahre und werde mit Lisbeth sofort zur Arbeit geholt oder Lisbeth wird ganz weggenommen. Sollte ich arbeiten müssen, kann ich, im Fall evakuiert wird, nicht mit den Kindern fort, die dann mit der Omi müssen, sondern muss beim Betrieb bleiben, bezw. mit ihm weggehen, so wird es nämlich Ilse Düren gehen, wenn es soweit kommen sollte.

Das geht sehr schnell heutzutage. Die Lehrer von den Schulen werden auch sofort eingesetzt. Alle Schulen sind seit vorgestern auf Anordnung des Reichsvewaltungskommissars geschlossen worden.

Andererseits wäre es mir lieber, die beiden Kleinen wenigstens aus dem Weg zu wissen, aber wie wäre es mit Thea? Sie will sie auch nehmen, und ich habe Angst, Lenchen wird nicht lange begeistert über den Zuwachs sein. Wenn die Kleinen aber fahren müssen, dann sorge bitte, dass Du sie bringen kannst, denn ich kann unter den heutigen Umständen nicht lange von den Kindern weg und dann musst Du nach Möglichkeit nachts fahren, denn am Tage zu fahren ist halber Selbstmord. Übrigens ist die von Dir vorgeschlagene Strecke Siegburg Dillenburg usw. reichlich von Tieffliegern beharkt.

Du fragst nach den Zügen. Sie fahren und fahren auch nicht, einen regelmäßigen Zugverkehr gibt es kaum. Sobald wieder eine Strecke geflickt ist, wird gefahren. Vorige Woche fuhr die Rheinuferbahn nicht. Nach dem Angriff am Montag auf Wesseling wird sie wohl ein paar Tage nicht fahren. Die Elektrische nach Siegburg fährt, aber das kann sich heute mittag schon geändert haben, wenn Bomben gefallen sind. Ich habe Dir ja schon gesagt, dass hier im Westen der Alarm um halb neun einsetzt und den Tag über andauert.

Wir haben jetzt Flakfunk, und jetzt erfährt man erst, was für eine Menge Biester in der Luft sind. Man sollte meinen, die fliegen sich gegenseitig um. Danach kannst Du Dir denken, was so langsam angerichtet wird. Der Omnibus nach Oberpleis fährt noch. Motorboote nach Dollendorf und Oberpleis auch. Man kommt noch hin, wohin man will, muß nur u.U. vielstündige Verspätungen einkalkullieren. Und man muss dafür natürlich eine Bescheinigung haben. Die Fahrpläne gelten noch, aber man muss unterwegs mit stundenlangen Aufenthalten rechnen. Die Rheinfähre ist stillgelegt, aber das Motorboot fährt noch.

Der Flakfunk meldet Kampfverbände im Ruhrgebiet. Er ist sehr genau und gibt die Anzahl an und auch zugleich, wo Abwürfe sind. Wir hatten heute nur kurz Vollalarm mit Bombenwürfen zwischen Mehlem und Rolandseck nach meiner Schätzung. Und im übrigen ab morgens nur Tiefflieger. Ich war nach Tisch im Film, und als ich rauskam,

 

erzählten die Leute, dass so schlimmer Tieffliegerbeschuss noch nie gewesen sei, und Lisbeth pries Gott, dass ich da war, sie hätte so Angst gehabt, und Bomben seien auch gefallen. Und das alles bei Voralarm.

Massenhaft scheinen dem Flakfunk nach Bomberverbände im Ruhrgebiet zu sein. Augenblicklich wird besonders Dortmund gewarnt.

Ich habe schon rausgekriegt, wohin ihr verlegt (seid), wenn ich auch zuerst den vierten Buchstaben bekommen habe, danach den 5. und heute den 2. und 3.

Ich lege Dir einen Bericht des W.B. über den Kampfraum im Westen bei. Es ist nämlich wirklich nur die Hälfte der Aufforderung zur Räumung nachgekommen. Dass hier nicht mehr geräumt wird, wie Grohé sagt, habe ich Dir ja schon geschrieben. Aber was das im letzten Augenblick dann werden soll, mag der liebe Himmel wissen. Jetzt bekomme ich auf jeden Fall keine Unterstützung von der Partei dabei, weil, wie Grohé sagt, nur diejenigen zu räumen haben, die aufgefordert werden, alles andere hat an seinem Platz zu bleiben.

Ich schreibe augenblicklich keine schönen Briefe, vieles wiederholt sich auch, aber da ich ja nicht weiß, welche Briefe Du bekommst, schreibe ich es öfter. Ich nehme nämlich an, dass Du mehrere Briefe nicht bekommen hast. Das Telefon geht noch. Ich kann bloß nicht anrufen, weil Privatgespräche nicht durchgehen, aber Du wirst es schon können. Hoffentlich höre ich es klingeln.

Ob dem Amerikaner der Durchbruch gelingt? Die Zeitung schreibt, dass er vor Winter noch alles daransetzt, um wenigstens bis zum Rhein zu kommen, weil er weiß, dass dann auf lange Monate Kampfpause ist. Weiter schreibt sie: 'Und je mehr der Feind in diesem Jahr den Krieg zu beenden sucht, desto mehr tun wir alles, um ihn zu verlängern. Haben wir keinen schnellen Krieg gewinnen können, so kann der Feind keinen bestehen, dessen Dauer unabsehbar ist. Wir lassen uns Zeit.'

Nach dieser erfreulichen Aussicht mache ich Schluss und hoffe, dass morgen wieder Post von Dir kommt. Vielleicht fügt es das Schicksal, dass Du doch auf irgendeine Weise, und sei es nur für zwei Tage, nach hier kommen kannst, besonders wo so ein praktischer Urlauberzug geht. Kannst Du nicht einen Kurzurlaub bekommen, um hier nach dem Rechten zu sehen? Ich hätte dann auch wirklich gerne, wenn Du allerlei wegschleppen könntest. Ist es nicht möglich, nur ein paar Tage zu kommen?

Viele Küsse
Deine Lotti

Hjalmar schrieb, ob es aus der alten Ofenkante kommt? Meint er Godesberg damit? Dann stimmt es, hat aber schon wieder aufgehört, aber wir waren nicht sehr begeistert von dem Zuwachs. Villiprott – Kottenforst.