Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 29. Dezember 1944

den 29.12.44

Mein lieber, lieber Mann!

Nun sind es fast vier Wochen, seitdem ich die letzte Post von Dir hatte. Ich weiß auch nicht, ob es Zweck hat, Dir einen langen Brief zu schreiben und ob ich ihn nicht wiederbekomme. Es ist schrecklich dieses ohne Post zu sein und nicht zu wissen, ob man seine Gedanken nach Osten oder Westen richten soll.

Die Weihnachtstage waren harmonisch, festlich und gemütlich in unseren vier Wänden. Wenn ich Dich auch vermisste, so war es andererseits ein sanftes und schönes Glücksgefühl, Weihnachten im eigenen Heim feiern zu dürfen und zu sehen, wie sich die Lichter im polierten Holz und in den Glasscheiben des Biedermeierschrankes spiegelten. Weihnachten liebe ich unsere Zimmer immer doppelt und sie waen mir wie neu geschenkt. Auch für Dein Geschenk, das mir doppelt grosse Freude machte, weil Du so sorglich schon lange vorher daran gedacht hattest, danke ich Dir und gebe Dir viele, viele Küsse. Du bist sehr lieb.

Unsere Bescherung war wie immer um sechs (da Du ja wohl mit Deinen Gedanken bei uns gewesen sein), und um 10 nach sechs mussten wir rasch in den Keller, weil Bonn einen wüsten Terrorangriff hatte, bei dem unser Haus zitterte und rappelte. Bonn kommt überhaupt jetzt viel dran. Auch Remagen, Sinzig,

Ahrweiler müssen jetzt immer wieder dran glauben. Diese Luftüberlegenheit ist ja entsetzlich.

Die Kinder waren glücklich über ihre Weihnachtstische bis auf Jürgen, der sich anscheinend mehr versprochen hatte und anderes, als ihm das Christkind gebracht hatte, und das er auch deutlich monierte. Klaus war selig und versicherte ein über das andere Mal, dass er sich kaputtfreuen würde und dass er viel zu viel bekommen hätte. Jürgen stand vor seinem Tisch und sagte zu mir: "Das nennst Du viel? Das sind ja bloß fünf Sachen und das Schaukelpferd.“

Es quält mich, dass keine Post von Dir kommt. Drei Wochen störte es mich nicht, weil ich weiß, dass Post sehr schwer durchkommt, aber nun ist jeder Tag eine Enttäuschung. Wenn ich bloß wüsste, wo Du bist. Sobald Post von Dir kommt, bekommst Du einen langen, ausführlichen Brief.

Lenchen bat mich um die polizeiliche Abmeldung der Kinder. Soll ich das tun? Dann sind Zimmer und Lisbeth fällig. Andererseits will Lenchen ihre Zimmer dadurch vor einer Beschlagnahme schützen. Ich hätte die Kinder ja so gerne wieder. Luftgefahr ist überall. Helga schrieb mir einen solchen Heimwehbrief. Kannst du die Kinder bringen, wo die Gefahr der Front augenblicklich vorbei ist?

Viele liebe Küsse, Deine Lotti