Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 6. Dezember 1940

Amsterdam, den 6.12.40

Mein süßes Lottenkind,

der Nikolaus hat mich auch hier in Feindesland nicht vergessen, denn heute kam Dein herrlich langer Brief hier an. Ach Lottenkind, wie hatte ich auf Post gewartet – gewartet ist kein Ausdruck gejammert habe ich. Dein Brief ist so voll von vorweihnachtlichen Stimmung, dass ich von hier, wo derartige Stimmungen vollkommen fehlen, ganz losgelöst war. Ich saß zu Hause im Sessel, sah aus dem Ofen die rote Glut leuchten und fühlte die herrliche Wärme und sah Dir zu, wie Du die Lichter am Adventskranz ansteckt ist, ich sah Deine feinen zarten Hände und dein Gesicht vom Kerzenlicht angeleuchtet. Im Radio war Musik. Lotti, ich habe Dich früher oft ganz heimlich beobachtet und meine Freude an Dir gehabt und diese Bilder steigen jetzt alle wieder hoch, wo ich mich nur an Bilder halten kann. Ach mein Kind, ich habe Dich schrecklich lieb. Deine Briefe sind Balsam für ein einsames Gemüt. Man wird auf die Dauer einsam, mein Liebling, wenn man immer unter diesem Volk steckt. Es gibt doch im Grunde auf der ganzen Welt nur einen Menschen, bei dem ich mich heimisch fühle, bei dem ich nicht einsam bin und das bist Du. Alles andere ist erbärmliches Surrogat.

Wir sind hier immer noch eingesperrt wie kleine Kinder. Es ist trostlos. Da liegt nun Amsterdam, es gibt Museen, Kirchen, es gibt einen Hafen und 1000 andere Dinge, die man sich ansehen möchte. Kappes! Da haben sich einige Kerle heimlich durch de (unleserlich) jemacht und sich sinnlos besoffen, so das Holländer sie in vollkommen hilflosem Zustand

am Kasernentor abgegeben haben. Jetzt ist es deshalb zappenduster für alle anderen. Sch-ade!

Es ist hier schrecklich ungemütlich. Etwa 40 Mann in einem Saal, keine Spinde! Alles ist im Rucksack oder verbotenerweise unter dem Kopfkissen. Ordnung ist nicht möglich. Es ist ein ständiges Gewühle nach den gesuchten Sachen. Der Tommy lässt sich hier kaum sehen. Gestern brachten sie 3, die nachts irgendwo heruntergeholt worden waren in unserer Kaserne, die den stolzen Namen „Oranje Nassau“ trägt. Es waren halbwüchsige Jungen, die nervös an ihren Zigaretten zogen und alle Minute austreten mussten. Es steht doch scheinbar recht faul da drüben.

Wenn wir raus können wollen wir feste hamstern. Aber die Pfennige sind knapp. Ich muss z.B. meinen neuen Sold abwarten. Habt Ihr Euch über das Päckchen gefreut. Wenn Ihr etwas Geld schicken könnt, dann tut es bitte und schreibt dabei, was Ihr haben wollt.

Mit dem Weihnachtsurlaub müssen wir doch noch einen Hebel ansetzen. Weil muss nochmals an mich schreiben, dass die Stadt unbedingt auf Erledigung noch in diesem Jahre besteht. Engels muss an mich schreiben, dass ich unbedingt kommen müsste und Du musst einen Brief schreiben, den ich der Schreibstube vorlegen kann. Du musst schreiben, dass Du als Frau einfach nicht durchkommst und das Du fürchtest, die Verwaltungen zu verlieren. Die Gestapo bestehe auf Abrechnung. Alles an meine hiesige Feldpostnummer. Man weiß hier nicht so recht, was man mit uns anfangen soll. Wann wir verteilt werden, weiß auch keiner. Es kann noch länglich werden. Da kommen einem die Gedanken, was man alle(s) zuhause erledigen könnte. Es gibt hier allerhand zu tun. Man ist erfinderisch darin, uns zu beschäftigen. Aber man merkt, dass alles Krampf ist. Ich könnte hier gut für 8 Tage weg, aber ich muss noch Gründe beibringen und die sind ja, weiß Gott, in Hülle und Fülle da.

So nun hab noch herzlichsten Dank, dass Du das mit der Steuer gerade gebogen hast. Ist die Hausprovision eingegangen? Wenn nicht dann schreibe mal drum. Lass das Geld liegen, bis ich komme.

Über Müllers Brief habe ich mich sehr gefreut. Ich möchte so gerne viel schreiben, aber es geht nicht. Die 1000 kleinen Dinge fressen uns einfach auf.

Mein süßes kleines Lotting, ich ärgere mich über jeden Brief, den ich schreibe und meine, er müsste viel viel herzlicher sein. Es ist immer so ein Gestammel und Du musst das Beste zwischen den Zeilen lesen. Ich habe eine schreckliche Sehnsucht nach Dir und den Kindern und der Mutter und nach all den lieben Menschen, die ich hier vermisse.Schreibe mal an Garshagen, dass ich in A bin.

Es hagelt und stürmt hier schrecklich und es könnte sehr gemütlich sein, wenn ich zu Hause wäre. Hier ist es kalt und ein kleiner Ofen gibt sich vergeblich Mühe den Saal anzuwärmen. Die Finger sind klamm und die Schrift entsprechend scheußlich. Ach Lott, ich wäre so gern bei Dir, aber ich lasse den Kopf nicht hängen.

Mein Kind sei herzlich geküsst und
gegrüßt von deinem Soldaten.

Das Niveau hier ist gegen Reinsehlen erschreckend abgesunken. Auf die 11 Mann unserer Bude hatten Hildebrandt und ich genügend Einfluss, aber hier gegen diesen Haufen sind wir machtlos. Es ist manchmal nicht zum anhören. Ein Büchlein wäre recht am Platz. Vielleicht der Kornett (von Rilke) ? Wie war der Nikolaus?