Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 20. November 1944

20.11.44

Mein liebes Lottenkind,

also das wäre geschafft. Ich will Dir auch erzählen wie, damit Du die Nutzanwendung für Deine Reise daraus ziehen kannst. Alle Berechnungen waren für die Katz. Wir kamen gut in Koblenz-Lützel an und gingen bis zur Elektrischen an der Christus-Kirche (,) fuhren von dort nach Ehrenbreitstein. Von dort zu Fuß nach Pfaffendorf und von da elektrisch wieder nach Niederlahnstein. Der D-Zug 10,45 fuhr aber nicht, obwohl er von N. aus eingesetzt wird. Auf meine Ankündigung erfuhr ich, daß erst ein D-Zug aus Berlin erwartet wurde, der dann in N. umgekehrt wird. Die Verspätung des Berliner Zuges inkl. der Umsetzzeit bekommt dieser Zug ab 10.45 als Morgengabe mit. Er fuhr kurz gesagt um 16, 00 Uhr und zwar nicht wie er sollte nach Berlin sondern nur bis Gießen. Dort kamen wir um 18,30 Uhr an, bekamen fast Anschluß kamen aber trotzdem in Treysa zu spät, um den ausgerechnet an diesem Abend pünktlich abgefahrenen Zug nach F. zu bekommen. Nach Abweisung in allen Gasthäusern war die N.S.V. die Rettung. Gegenüber dem Bahnhof gelegen war sie hervorragend eingerichtet sauber und nett. Die Kinder blieben anstandslos da, während ich mich in das Soldatenheim verkrümelte, das ähnlich gut war zu meiner größten Überraschung. 2 reizende mütterliche Treysaer Damen leiteten es. Es war sauber und hübsch und hat heißen Milchkaffee. Am anderen Morgen Abfahrt nach F.   Hans und Lenchen hatte ich bereits abends telefonisch verständigt. Sybillchen und das Mädchen waren am Bahnhof. Nutzanwendung:Nicht morgens sondern abends fahren. Besser scheint mir: Die Route Dollendorf, Troisdorf, Betzdorf Gießen zu sein. Mit dem Fortbringen von Sachen darfst Du nicht mehr lange warten. Wenn der Tommy bei Aachen nicht durchkommt, wird er zur Vorbereitung neuer Offensiven die Verkehrswege noch gründlicher zerstören. Ich habe Lenchen (nicht den Kindern) gesagt, daß Du kommst. Sie freuen sich auf Dich. Hans hat heute Geburtstag. Es gibt wieder eine Gans. Ich sah sie schon gerupft (?) da liegen. Den Kindern ist also heute zum 1. Mal  

in ihrem Leben der Genuß von Gänsefleisch zuteil geworden. Ich fuhr am selben Tag um 17 Uhr weiter. Es gab Tränchen bei Helga. Ursel findet sich, glaube ich, gut ein. Sie hat gleich Sybillchens ganzen Spielschrank ausgeräumt. Ich bin inzwischen am 19. um 15 Uhr auch in Steinhude eingetroffen und habe zuerst mal die Nase vom Reisen voll. Gott sei Dank hatte meine Einheit noch nicht verlegt. Ich fand aber einen neuen Adjutanten vor. Laws (?) war inzwischen zu Graf gegangen. Hoffentlich ist der neue Adjutant besser.! Es ist ein Volksschullehrer und scheint kleinlich zu sein. Ich will dieser Tage mal Hans Benthien anrufen. Hier fand ich Briefe von Hans Schultz, Heinz Schilling, Fritz Rösel, eine grüne Karte von Fritz Palm, der also lebt, und 2 Briefe von Dir vor. Ich schicke Dir die Brief zu, sobald ich sie verdaut habe. Der Abschied ist mir diesmal verdammt sauer geworden, ich habe ihn gleich 2x durchgekostet, denn auch der Abschied in Frielendorf von den beiden kleinen Häschen ist mir schwer geworden, trotzdem ich sie in bester Pflege weiß. Hoffentlich habt Ihr dort durch den Weggang eine fühlbare Entlastung. Lenchen will uns ganz behalten durch Zumietung von Räumen in der Nachbarschaft. Aber es wird wohl nichts werden.

1000 liebe Küsse
Dein Harald

Anmerkung Stefanie Endemann: Die so lange geplante Verbringung der zwei Kinder auf das Land zu Meyers nach Nordhessen fand statt. Harald bekam offenbar Urlaub zu diesem Zweck. Meyers wollten auf jeden Fall nur Mädchen nehmen. Also traf es die Älteste, Helga, 11 Jahre, und die dritte Tochter Ursel/Ulla (5 Jahre) , denn Heidi, 10 Jahre, hatte bereits fast ein Jahr bei der Tante in Stettin zugebracht. Ulla hat diese Verbringung schwer verkraftet und empfand sie zeitlebens als Verstoßung. Sie wußte nicht, warum es sie traf. Tragisch wurde es mit Helga. Lotti konnte sie kriegsbedingt nicht mehr besuchen und sollte sie erst nach Kriegsende als schwer krankes Kind wiedersehen. Im März/April 1945 wurde Leukämie diagnostiziert. Helga starb im September 1945.