Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 13. Mai 1943

den 13.5.43

Liebster Mann!

Heute hat unsere Ursel Geburtstag, und Jürgen feiert seinen mit. Der Tag ist ein richtiger Geburtstag mit Sonne, Wärme und Vogelgezwitscher, und hier im Wohnzimmer ist die Luft erfüllt von der Mischung von Kuchen- und Blumenduft . Die Geschenke sind heute auf dem runden Tisch im Biedermeierzimmer aufgebaut, und ich sitze und warte auf die kleine Gesellschaft, die ja vorläufig noch im Kindergarten ist. Der Geburtstagstisch sieht aber für ein Kinderherz gar nicht nach Krieg aus. In der Mitte thront, und das wird bestimmt die Hauptsache sein, die große Schultafel. Jürgen bekommt dazu ein Pferdchen und einen Wagen, die ich von Weihnachten zurückbehalten habe, und Ursel einen Kasten mit Bogen, auf denen allerlei Tiere sind, Affen, Bären, Krokodile, Löwen usw., die aber alle falsche Köpfe aufhaben. Das muss nun ausgeschnitten werden und richtig zusammengesetzt werden. Dann liegt noch ein Märchenbuch da und eine Pferdeleine, die ich fabriziert habe. Einen wunderbaren Rodonkuchen habe ich auch gebacken ohne Eier und ohne Milch. Er sieht gut aus und ist gut gewürzt. Wann wir Eier kriegen, weiß der Himmel. Und zum Schluss steht noch eine kleine Schüssel Rahmbonbons da, die ich gestern noch schnell gemacht habe.

Heute mittag kommen nun Biggi und Ursel Siefken, und zum Abend gibt es Rhabarbergrütze mit Vanillesauce. Im Laufe des Mittags kommt dann auch Lisbeth wieder, und dann kann wieder richtig gearbeitet werden. Wir sind diese acht Tage zwar auch so ganz gut durchgekommen ich habe aber schon wieder viele Pläne (Hausputz im Keller, Nähen usw.) Und dann will ich in den nächsten Tagen schon mal mit dem Rhabarbereinmachen anfangen. Ach, Pappi, Du glaubst gar nicht, wie schön die Arbeit im Haus ist. Ich bin aber auch so ruhig und ausgeglichen und werde es immer mehr. Ich bin so richtig glücklich

in meinem Haus und in der Sorge für die Kinder.

Wir kriegen jetzt auch eine gasdichte Türe und das Fenster verdichtet. Schlosser Gernhard liefert sie. Jetzt muss ich bloß sehen, wie ich die Briketts unterbringe, denn die Türe klappt nach dorthin auf. Vielleicht kann ich im nächsten Frühjahr eine Umräumerei machen, denn dann sind bestimmt die Ecken leer. Dieses Jahr haben wir einen ganz netten Berg Kohlen übrigbehalten.

Nun sind es genau fünf Jahre, dass wir unsere Ursel haben, es ist nämlich viertel vor neun. Der Sturm heute ist auch vorbei, d.h. Helga wäscht sich noch und dann muss ich aufpassen, sonst ist sie in einer Stunde noch nicht im Bett. Die Schultafel hat übrigens doll eingeschlagen. Sofort nach Tisch hat sich die ganze Straße einschließlich Pölls und Wille eingestellt, um Schule zu spielen. Dann machten sie einen "Schulausflug“, und als dann die Gäste kamen, waren die Gastgeber nicht da, und als sie kamen, waren sie total zerzaust und mussten im Beisein der Gäste erst umgezogen werden.

Ach, Liebster, ich sehne mich oft nach Dir. Die Welt ist so verworren, und man sieht augenblicklich so gar nicht, wie der Weg läuft. Es ist zu viel des Entsetzlichen, das passiert, und es gibt überhaupt kein anderes Gespräch mehr als den Krieg. Gut, dass ich meine Bücher habe, und mit der Musik will ich auch wieder anfangen. Manchmal denke ich aber, dass es sich nicht lohnt, weil ich doch nicht zum Üben komme.

Es wird zu dunkel zum Schreiben, und das Licht machen wir, wenn nicht irgendeine eilige Näherei vorliegt, vor dem Nachrichtendienst nicht mehr an. Die alarmlose Zeit ist ja nun auch vorbei. Hoffentlich hat Ilse nicht bei diesem neuen schweren Angriff auf Duisburg auch Wohnung und Möbel verloren. Das Schicksal spielt ja gerne auf seine Weise.

Viele liebe Grüße und Küsse,
Deine Lotti