Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 10. Mai 1941

den 10.5.41

Liebster Pappi!

In Erwartung eines schönen Bohnenkaffees und weil heute Samstag nachmittag ist (der Satz ist falsch herum angefangen, nämlich weil heute Samstag nachmittag ist wird der Bohnenkaffee erwartet).

Ich muss wieder neu anfangen. Also, ich wollte Dir einen recht schönen Samstagnachmittagsbrief schreiben, aber bisher haben noch Deine fünf Kinder dafür gesorgt, dass die Stimmung dazu nicht aufkam. Sie sind heute alle vorbildlich unartig, alle schreien und zanken, und seit einer Stunde kann ich nichts tun als immer eins aus der höchsten Not retten, Knie auswaschen, Höschen aufknöpfen oder trockenlegen oder die Nase einreiben und in der Hauptsache immer wieder waschen. Seit gestern sind Klaus und Ursel innerhalb einer halben Stunde so schwarz wie sonst nach einem ganzen Tag. Ich möchte wissen, wo sie ihr Spielfeld haben. Gestern nachmittag war es erklärlich, da hatte das Forsthaus Koks bekommen, und die beiden haben Bergbesteigung daran versucht. (Helga steht neben mir und liest, was ich schreibe und sagt, ich solle dazu schreiben, dass sie mit Bübs Schubkarren Kohlen aufgeladen hätten.) Was sagst Du, das Krott ist ein gutes Dreivierteljahr in der Schule und liest die Schreibmaschinenschrift so schnell, wie ich tippe, und wenn ich einen Satz fertig habe, lacht sie auch schon, weil sie es gelesen hat. Im übrigen kribbelt es mir auf der ganzen Haut, was oben nun wieder angestellt ist, denn es ist lautes Zetergeschrei.

Die grünen Schuhe sind sehr hübsch, und ich will sie behalten. Die beiden anderen Paare habe ich verkauft, mit Aufschlag natürlich, eins an Anneliese und eins an den Milchmann Hoffmann, der glücklich ist, dass er für seine Frau Schuhe hat. Und ich bin froh, dass ich wieder etwas Geld habe, denn ich fange schon an, sehnsüchtig nach dem Ersten zu sehen. Ich habe mich diesen Monat etwas übernommen. Ich habe Beitin bezahlt, Wittkuhn mit 28.70- die Hälfte, 50.- Mk. nach Kassel geschickt und den Reichsnährstand von Engels mit 70.- Mk. bezahlt. Das hat in meinen Familienunterhalt ordentlich reingerissen. Andererseits bezahle ich gerne erst,, was an Verpflichtungen da ist und lege mich dafür den übrigen Monat krumm, ich kann das Geld dann wenigstens nicht für andere Dinge ausgeben und habe schliesslich die Rechnungen nicht bezahlt. Aber ich freue mich entweder auf den nächste Monat oder auf die Rechnung Blatzheim.

Du musst diesen Rechenabschnitt schon entschuldigen, aber ich rechne sowieso den ganzen Tag und da kommt es dann auch hier mit dazwischen.

Ich lese augenblicklich ein interessantes Buch: Roman einer Weltreise. Es ist eine Reisebe-schreibung mit politischen Um-und Ausblicken, angefangen an dem Tage, als wir in Prag einzogen und aufhörend mit Kriegsbeginn.

Heutet hat Hansel Geburtstag. Sie schrieb, sie wolle diesen und den morgigen Sonntag auf einer Skihütte verbringen. Ach, Gott, ich darf das gar nicht hören, dann packt mich das Reisefieber. Einmal möchte ich wieder für ein paar Tage eine andere Landschaft sehen und ganz was anderes sehen und hören, als was um mich rum ist. Mutter hat Recht, sie ist noch immer in Büderich. Heute ist sie acht Tage weg, aber ich vermute, dass sie heute kommt.

Du lieber Himmel, sie sind außer Rand und Band. Hinter mir rasiert Klaus eine Bürste mit einer Schere. Er ist schon wieder so unmöglich schwarz. Er findet neuerdings alles "prima". Er hat vorhin z.B. ein prima Stück Kreide gefunden, ein ganz winziger Stummel war es. Gleich gehen alle mit Anneliese spazieren. Gottseidank, dann sind zwei Stunden Ruhe, bis um sechs das große Baden beginnt.

Draussen in der Küche ist jetzt grosse Abfütterung. Nun sitzen sie zu Fünft um den Tisch, Jürgen auch dabei mit seinem Butterbrot.

 

Nach dem Kaffee war ich nun in der Stadt. Es ist heute sommerlich warm, und ich bin eine ganze Weile ziellos herumgeschlendert, weil ich einfach keine Lust hatte, mich von dem Menschengewühl zu trennen. Ich habe für Ursel einen Eimer und ein Sandsieb gekauft. Er-stens wollte ich nicht mehr schenken, aus bekannten Gründen, und als mir das Gewissen schlug, war zweitens in keinem Geschäft Godesbergs auch nur eine Spielsache außer einigen Gesellschaftsspielen zu haben. Bei Biederbicks habe ich zufällig Kremhütchen bekommen, nun kommt noch ein schöner Kuchen dazu und damit ist der Geburtstagstisch dann fertig. Die Hauptsache wird ja wohl Dein schöner Ball sein.

Ich traf Marianne, frisch und appetittlich wie immer die einige Zeit in Godesberg ist. Die müsste doch nun Kinder haben, sie ist doch wie geschaffen dazu. Aber ob das Kurthen nicht seine Gründe hatte, als er keine wollte?

Ja, und ich habe mir für heute abend ´Das Reich´mitgebracht. Ich könnte ja auch Bekannte esuchen, aber ich hätte heute nur Lust, mir Dir etwas zu unternehmen, bei dem Du der führende Teil bist. Mit Dir zusammen möchte ich ausgehen.

Es schlägt sechs, also muss ich zwischen meinen Lieben wechseln, von Dir zu Deinen Ablegern. Sie bekommen heute abend süßen Ouark mit Schwarzbrot. Also, gute Nacht, Liebster. Deine hübsche Geschichte lese ich noch immer. Viele, viele Küsse. Deine Lotti.