Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 18. Januar 1945

den 18.1.45

Mein lieber Mann!

Es interessiert mich, was schneller ankommt, Feldpost oder der Brief an die Privatadresse. Nun ist der Doppelgeburtstag bald vorbei. Ziemlich klanglos, wie er dem sechsten Kriegsjahr entsprechend ist. Im Osten sieht es ja bös aus.

Ich leide augenblicklich am meisten durch die Abwesenheit der Kinder. Wie sehr, kann ich gar nicht sagen. Ich möchte sie liebhalten, in die Arme nehmen und stehe machtlos da. Immer geht mir die Zeile aus dem Lied von der Lilofee durch den Kopf: 'Meine Kindlein höre ich weinen nach mir...' und das zerrt dann ununterbrochen. Vielleicht ist es gar nicht der Fall, vielleicht sind sie vergnügt. Merkwürdigerweise beziehe ich es in der Hauptsache auf Helga,

und ich rede mir ein, das Kind verzehrt sich in dauerndem Heimweh nach mir. Wenn ich wüsste, die Kinder wären gerne dort, wäre es ja gut, aber Helgas Briefe klingen gar nicht so. Und nun kommt die Angst dazu, die Weltgeschichte könnte einen Lauf nehmen, der uns vielleicht für sehr lange Zeit ganz trennt. Es ist schrecklich. Wie jetzt die Entwicklung der Dinge vor sich geht, ist es vielleicht am besten, wir sind geblieben, wo wir waren.

Besteht irgendeine Möglichkeit in der Zukunft, dass Du einmal Urlaub bekommst, um nach den Kindern zu sehen oder sie zu mir zurückbringen? Wer weiß, was alles kommt, aber dann möchte ich wenigstens alle meine Küken um mich haben. Herr van Voorthuysen hat seine Frau und sein Kind nach Dresden getan. Nun wünscht er, er hätte das nicht gemacht.

Klaus, der kleine, Gute, ist trotzdem mit seinem Geburtstagstisch zufrieden, auch ohne Kindervisite. Die gab's nicht, weil wir ja in der Küche essen müssen (das Esszimmer kann diesen Winter nicht geheizt werden) und außerdem weder Mehl noch Eier haben. Er hat aber das zweite Kriegsschiff, das Du damals mitbrachtest, bekommen und drei Militärpostkarten und ein paar Hefte über Panzerjäger und dergleichen. Das machte ihn völlig zufrieden. Er und Jürgen sprechen nur von Panzern, Kanonen, Soldaten und dergleichen. Wenn diese Generation groß ist, gibt es wieder Krieg. Es sitzt in Euch Männern anscheinend drin. Unfasslich und schrecklich. Und wie sich die beiden Jungs für solchen Kriegskram interessieren. Es bleibt mir und den Mädels immer unbegreiflich, und die Mädels gehen natürlich mit völliger Interesselosigkeit an diesen Kriegs- und Panzerbildern vorbei, wie sie es immer tat. Solange es Männer gibt, wird es wohl immer Krieg geben, und wir Frauen werden ihm immer ablehnend gegenüberstehenn weil er zerstört.

Jetzt sind es gerade acht Jahre, dass wir beim Abendessen saßen und Frau Michalski anrief. Ist es nicht wie gestern? Und wie freutest Du Dich hinterher. Und was kam für mich immer eine behütetet, geborgene, umsorgte Zeit. Es ist wohl das köstlichste Gefühl, nach solchen Schmerzen so umsorgt und sorglos ausruhen zu dürfen, so lange man will.

Aber was wird? Mir graut vor der Zukunft besonders ohne Dich, der Du weit weg bist. Vielleicht wird es doch gut, aber ich habe so das Gefühl, als ob das bürgerliche Zeitalter, das doch recht hübsch war, vorbei ist, so und so. Welcher Abschnitt zwischen 39 und ?

Wie gut, dass Hansi nicht mehr in Warthbrücken ist. Ich habe so ein schweres Herz. Nimm es nicht zu tragisch, denn Du bekommst den Brief ja vier Wochen später, und bis dahin ist alles ganz anders.

100 Küsse Deine Lotti