Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 1. Juni 1941

den 1.Juni 41

Liebster Harald,

Heute, am Pfingstfest, weiß ich nicht viel Neues. Ich hatte vorhin auf dem Balkon am Kinderzimmer gestanden und in den blühenden Rotdorn gesehen und den Leuten auf der Straße nachgeschaut. Dabei habe ich mir gewünscht, Du wärest da. Das war so das Bemerkens-werteste.

Aber eben kommt Harr Schüler und bringt mir eine kleine Aufnahme, die er von Jürgen ge-macht hat. Hier ist sie. Hat er sich verändert, seit Du ihn nicht mehr gesehen hast? Das Bild ist auf dem Adolf-Hitlerplatz gemacht worden. Und jetzt ruft er schon Mama, wenn er mich sieht.

Frau von Salvini schreibt, ob Motten im Zimmer wären. Hattest Du es nicht voriges Jahr von Nägele entmotten lassen? Oder muss sonst etwas geschehen?

Helga sitzt auf der Sessellehne mir gegenüber und liest mal wieder. Ich muss sie mit Gewalt an die Luft setzen. Finger im Mund und mit der anderen Hand im Haar drehend.

Jetzt kommt meine Geburtstagswoche, und wenn Du diesen Brief hast, ist er beinahe da. Ich lade diesmal lauter junge Frauen ein. Aber ich gäbe den ganzen Geburtstagskaffee sofort her, wenn Du da wärst. Das andere ist doch nur Ersatz.

Es ist doch toll, dass ein Land wie Frankreich, das tausend Jahre lang immer Krieg gegen uns hatte, plötzlich, wenn auch nicht hoch begeistert, einen Kurs gegen seine langen Verbündeten mit uns einschlägt.

Heute Mittag (Du siehst, dass ich wirklich nicht viel weiß) gibt es Sauerampfersuppe, den üblichen Schweinebraten, weil keine große Abwechslung bei Engelbert ist, und einen Grießpudding mit Rhabarber. Von heute an gibt es pro Person in der Woche 100 Gr. weniger Fleisch. Betrübend!

Unsere Blumenrabatte neigt sich langsam dem Verblühen zu. Lasse ich die Pflanzen drin oder muss etwas Neues hin? Ich habe vier Stauden Schwertlilien von Herrn Becker geschenkt bekommen, die ich auch auf der Rabatte verteilt habe. Die haben sehr reiche Knospen angesetzt. Soll ich die alten Schwertlilien, die schon jahrelang drinstehen, rausreissen? Sie haben dieses Jahr wieder keine Kospen. Ich glaube nicht, dass die jemals Blumen haben. Dann hatte ich in der Rabatte nach Siefkens Haus hin Knollen von Dahlien gesetzt, die alle gekommen sind. Der Steingarten wirkt jetzt, da alles angegangen ist, etwas durcheinander. Ein Gärtner hätte die Pflanzen

wohl anders verteilt. Man sieht ihm das Selbstgepflanzte an. Ich glaube, wenn Du kommst, versetzen wir die Pflanzen so, wie sie zusammenpassen.

Ich habe Dich lieb und küsse Dich, Deine Lottimaus.