Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 15. April 1941

den 15.4.41

Liebster!

Heute kam Dein schöner langer Karfreitagsbrief an. Ich habe mich sehr gefreut und ihn ein paar Mal gelesen. Übrigens wurde die Matthäuspassion über alle deutsche Sender übertragen, auch über den Deutschlandsender, der nur zwischendurch englischen Nachrichtendienst gab. Die Matthäuspassion kam aus dem Kölner Dom mit Bachem, Pillney, Erb und Lotte Reichelt. Dass ich nicht zum reinen Genuss der Musik gekommen war, habe ich Dir ja schon geschrieben.

Wir haben uns alle, glatt gesagt, etwas überfressen. Ursel liegt im Bett mit Fieber, Jürgen hat sich den verdorbenen Magen angeschlossen, trotzdem ihm der Osterhase doch nichts gebracht hatte, und sogar ich bin nicht in Ordnung. Wir sind eben nicht mehr so viel gewöhnt. Wir haben aber in diesen Tagen auch gelebt wie im tiefsten Frieden.

Hatte ich Dir nicht geschrieben, dass Heidis Schuhe angekommen waren und gut passen? So geht mir manchmal etwas durch, das ich am Anfang des Briefes noch weiß und während des Schreibens vergesse. Dass Du für Ursel einen Ball aufgetrieben hast, finde ich herrlich. Bälle werden seit Kriegsanfang überhaupt nicht mehr hergestellt und gerade das Ballspiel ist so hübsch im Sommer.

Draußen weht nach den langen kalten Tagen eine süße laue Luft. Über Nacht sind Pfirsiche, Aprikosen, auch unsere Kirschen aufgebrochen, und die erste Blume im Steingarten ist auch schon aufgeblüht. Die bekommst Du. Auch das rosa Bäumchen vor dem Haus bricht in den nächsten Tagen auf, und die Lessingstraße hat einen hellgrünen Schleier vom Rotdorn. Die Kinder toben draußen. An die Beete geht keins mehr.

Einen Brief von Heiner Göbel lege ich Dir bei. Dann hat mir auch Tante Klara aus Metzingen einen schönen, langen Brief geschrieben. Sie erwähnt auch den alten Sekretär bei Tante Berta. Sie sagt, sie hätte Tante Berta mitgeteilt, dass ich ihn kaufen wolle, aber Tante Berta hätte ihn schon ihr nach ihrem Tode zugedacht. Sie zahlt aber jetzt von sich aus an Tante Berta, damit Tante Berta jetzt schon etwas hat und will uns aber später den Sekretär überlassen. Aber das geht doch nicht. Dann möchte ich doch wenigstens Tante Klara etwas geben, oder wie meinst Du, solen wir es machen? Nachdem was sie schrieb, abe ich es so verstanden, dass wir dann später ohne Unkosten dran kommen. Das würde ich Tante Klara zutrauen, möchte aber von mir aus doch etwas dazu tun, hauptsächlich auch, weil mir Tante Berta damals ganz besonders gut in ihrrer anständigen, klugen und trotz ihres schweren Lebens bejahenden Art gefallen hatte.

Ich kann Dir nachfühlen, dass Du am frohesten allein bist. Früher ging es uns ja auch so. Wir Beiden sind letzten Endes ja auch eins und wir waren am frohesten, wenn wir allein waren. Alle anderen hatten wir nicht so unbedingt nötig. Und Du, der Du so gerne ausgingst, oder Dich mit Bekannten trafst, weisst Du noch, dass es Dir nicht halb so viel Spass machte, wenn ich nicht dabei war? Also ist es letzten Endes ein Mensch, der einen auf dieser Welt ganz heimisch macht und wenn der nicht da ist, ist alles andere, schön, aber nur eine halbe Sache. Das letzte fehlt. Freuen wir uns, dass wir so zusammengehören und dass wir nicht ausserhalb unserer Ehe den- oder diejenige suchen müssen, für die sich lohnt zu leben und unter Umständen alles einzusetzen. (Der letzte Satz ist wohl in seiner Konstruktion etwas verunglückt, macht aber nichts).

Meinst Du wirklich, dass Du noch zum Einsatz nach Serbien oder Griechenland kommst? Das wird da unten wohl schnell aus sein. Oder kommt Ihr wirklich noch irgendwie in die südliche oder südöstliche Ecke? Ich habe mich jetzt immer noch it dem Gedanken getröstet, dass Ihr den Sommer über noch bestimmt oben bleibt.

Frau Klein zahlt jetzt die Miete nach. Sie zahlt aber nur für die Miete 21,20. Sie sagt, sie hätte mit Dir seinerzeit eine Abmachung getroffen, wonach irgendetwas eine Reparatur, glaube ich, von ihr bezahlt wurde (es waren, glaube ich 10,20) und dann von der Miete abgezogen werden sollte. Weisst Du etwas davon? Wegen Wittersheim gehe ich morgen zum Rechtsanwalt. Er hat diesen monat noch nichts von ich hören lassen und hat auch die versprochenen 10.- Mk. Vorigen Monat nicht bezahlt.

Ich habe eben behaglich Kaffee getrunken, noch mit Osterkuchen und einer Zigarette (zwei sogar) und bin etwas müde, aber recht ausgeglichen, und werde nachher etwas gemütliche Kleinarbeit machen, meinen Wäscheschrank aufräumen und so etwas. Heute abend gehe ich endlich in den Karl-Peters-Film. Heute ist mir nach Kino zumute. Und Dein Brief war so schön und lang, das hat auch meine Stimmung beeinflusst.

Aus dem Brief von Heiner Göbel spricht auch die ganze Anständigkeit seiner Gesinnung. Er tut das Gute um des Guten selbst willen, und wenn seine Vorgesetzten ihn alle falsch einschätzen. So einer hebt einen ganzen Klumpatsch von schlechten Soldaten auf. Und zum Schluss setzt sich sowas doch durch und wirkt. Wobei ich nochmal an unsere Helga denke, die ja so gerne „gut sein will“. Ich habe ihr keine langen Vorträge darüber gehalten, dass man und weil man, weil ich von mir weiss, dass man als Kind geradezu bei solchen Moralpredigten sich innerlich zuschliessen kann, sondern habe es ihr erklärt als in ihrem freien Willen stehend. Ich habe ihr gesagt, dass es genau soviel Schönes und gutes wie Böses und Hässliches auf der Welt gebe und dass jeder sich das aussuchen kann, was ihm am besten gefalle. Da gebe es Leute, die sich [Rest fehlt]

Gestern hatten wir Alarm. Es ist kaum geschossen worden, aber eine Stunde lang brummten sie über uns hinweg. Anschließend hat Jürgen mich dann noch zweimal aus dem Schlaf geholt, weil er Zähnchen bekommt. Es war so niedlich, wie der kleine Kerl sich dann in der Wärme bei mir beruhigte und dann vor sich hin brabbelte. Meine Söhne! Was wird aus ihnen werden?

Ach, Harald, es ist so feiertäglich. Der Himmel ist leicht bedeckt, manchmal bricht die Sonne durch. Es ist so recht ein Tag, um heute nachmittag irgendwo in die Felder zu gehen. Wenn ich mit meinen beiden Großen losziehe, bist Du mit dabei. Die beiden Söhne schlafen nebeneinander auf dem Teppich. Ursel rekognosziert das Haus.

Feiere so gut, wie es geht, Dein Osterfest und denke an mich. Deine Lotti