Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 31. Dezember 1941

den 31.12.41

Mein lieber, lieber Mann!

Ich habe mir meine besinnliche Stunde am Silvesternachmittag gerettet, um Dir zu schreiben. Mutter ist um fünf in den Gottesdienst gegangen, und die Kleinen scheinen oben lieb zu sein.

Ob der Brief fehlerfrei sein wird, glaube ich nicht, denn ich schreibe in ziemlicher Dämmerung. Es ist draussen graues Wetter und ich bin dazu der Wärme wegen an den Ofen gekrochen. Ich bin behaglich müde, Eine Müdigkeit, die in Stimmung umschlagen kann. Weil Anneliese noch nicht zurück ist (sie wollte doch heute mittag schon kommen) habe ich mich tüchtig plagen müssen.

Klaus ist schon zum dritten Mal, seitdem ich den Brief angefangen habe, hier im Zimmer erschienen, um zu erklären, dass er nicht aufräumen kann. Es ist entsetzlich anstrengend………..

Harald, weißt Du noch, heute vor einem Jahr? Und wie gemütlich wir dann am Spätabend am Ofen gesessen haben, und wir wollten doch noch für uns die Flasche Sekt trinken, und die anderen wichen und wankten nicht, bis es zwei Uhr war? Und trotzdem fand ich Dein Hiersein dieses Mal genauso schön. Du musst nicht vergessen, dass ich voriges Jahr, weil zwei Mütter da waren, sämtlicher Haushaltssorgen für die fünf Tage los und ledig war. Ich brauchte weder einzuholen noch mir den Kopf zu zerbrechen, was auf den Tisch kommen sollte. Und die Weihnachtsvorbereitungen war ja auch schon erledigt. Die habe ich ja alle gehabt, als du noch nicht da warst. Du hast dieses Mal mehr den Familienbetrieb gehabt, und das ließ sich nicht umgehen. Wenn Du es ganz besonders schön im Urlaub fandst, war es noch jedes Mal dann, wenn ich ganz für Dich da war. Das war am vorigen Sylvester der Fall und in Husum, denn da hatte ich überhaupt nichts anderes zu denken wie Dich und mich dafür schön zu machen und auf den Abend zu warten und die Tage im Herbsturlaub wenn wir zusammen weg waren. Sie sehen also, Herr Endemann, die Lehre daraus, dass wir uns im nächsten Urlaub wieder ein paar Tage stehlen müssen um Wanderungen zu machen oder ich muss sämtliche Haushaltsdinge für ein paar Tage restlos abgeben. Aber für mich war es doch sehr schön, denn das Bewußtsein, dass Du da warst durchdrang eben den ganzen anderen Haushaltkampf mit Freude.

Heute kam ein dickes Paket aus Nassenerfurt von Teichmüllers mit einem riesengroßen Brot, zwei langen Würsten, Speck, Mehl, Käse und Plätzchen. Herrlich, was? Es sollte noch zu Deinem Hiersein ankommen.

Ach, Liebster, wie werde ich heute abend an Dich denken. Ich bleibe nun doch zu Hause, und ich glaube, es wird gut gehen, denn Mutter ist verhältnismäßig gut

gelaunt. Gudrun rief eben an, sie haben dort Besuch, für heute abend von Otz Diehls bekommen, und nun muss sie zu ihrem Kummer dabeibleiben und in Familie machen. Nun treffen wir uns die nächsten Tage.

Hoffentlich rückt Mutter von dem Rotwein raus, damit wir was zu trinken haben, denn von Biederbicks war jetzt nicht mehr zu bekommen. Zum Abendessen gibt es Bratwurst mit Kompott. Und wenn ich die Kerzen nochmal anzünde, denke ich, Du sitzt im Sessel neben mir.

(Ich glaube, über mir entwickelt sich eine Schlacht großen Formates, und das wird nun Aufräumen genannt.)

Ich habe mir zwei dicke Soennecken-Ordner gekauft und werde Deine und meine Briefe heute abend darin abheften. Die grünen Mappen reichten nicht. Das wird eine schöne Sylvesterarbeit sein, und an manchen Worten werde ich mich wieder freuen. Wobei ich hoffe, dass der Stoß Briefe nicht nochmal so dick zu werden braucht und dass der Krieg schneller zu Ende geht.

Heute bekam ich einen Neujahrsgruß von Hans Schüler, den er am 2. Dezember abgeschickt hatte. Dann wird er wohl auch in den nächsten Tagen mein Weihnachtspäckchen bekommen, denn das war am 4. Dezember abgegangen.

Und nun ist Schummerstunde (die sich längst in elektrisches Licht verwandelt hatte, denn ich konnte doch so nicht schreiben) und Briefschreiben vorbei, denn weil Anneliese noch nicht da ist, muss ich die Ströppe versorgen und Kartoffeln schälen. Klaus wünscht sich natürlich ein dickes Wurstbrot von der Nassererfurter Wurst.

Jürgen sagt jetzt Motti zu mir, und gestern sang er in allen Tonarten beim Anziehen Mama. Er macht eine richtige Arie daraus und konnte sich zwischendurch ausschütten vor Lachen über diesen Einfall.

Ach, Lieber, wir wünschen uns doch alle beide dasselbe für das nächste Jahr, und das ver-gangene ist auch in vielem besser geworden als wir es am Anfang dachten. Du hast doch viel Urlaub gehabt, und in Gefahr habe ich Dich auch nicht gewusst, die Kinder sind alle gesund, und unsere Verpflichtungen nehmen auch, wenn auch langsam, so doch stetig ab. Alles in allem ein positives Ergebnis, für das wir doch dankbar sein müssen. Und --- ja nun weiß ich nicht mehr, was ich schreiben wollte, denn die Blagen haben mich wieder gestört und verlangen ihr Recht.

Ich gebe Dir viele Küsse, Deine Lotti