Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 6. Oktober 1940

Reinsehlen, den 6.10.1940

 

Liebes Lottenkind, heute ist nun Sonntag und das bedeutet auch für uns etwas Ruhe. Wir sind nun schon beinahe in Schwung und ich kann nur sagen, daß meine schlimmsten Befürchtungen keineswegs bestätigt worden. Das mag vor allem an der außergewöhnlichen Qualität unseres Unteroffiziers liegen. Er ist auch Reservist, hat Frau und drei Kinder und ist im höchsten Grad taktvoll. Einen besseren konnten wir gar nicht bekommen. Da nun der Unteroffizier das Wetter macht, ist bei unserer Korporalschaft eitel Sonnenschein. Die Kameraden sind ebenfalls sehr nett. Alle Berufe sind vertreten, Schneider, Dachdecker, Chemiker, Straßenkehrer, Anstreicher u.s.w.. Wir sind schon als ruhig und anständig verschrien. Wir geben uns die größte Mühe, das Vertrauen des Unteroffiziers zu rechtfertigen und so glaube ich, daß wir in unserer Ausbildungszeit keine allzu großen Schwierigkeiten haben werden. Wir liegen hier in einem Barackenlager.

Unsere Baracke ist ganz neu und noch zum Teil unfertig. Vorgestern mussten wir einen kunstgerechten Vorgarten anlegen. Gestern war der erste Apell (!) . Lotti, hast Du eine Ahnung, wie Wäsche liegen muss. Das kannst Du nicht ahnen! Zum Bettenbau sind zwei Bretter nötig, um alles in die richtige Form zu pressen. Wir waren auf unsere Stube zuerst zehn Mann. Nach einer eingehenden Untersuchung sind zwei wieder nach Hause geschickt wurden, weil ihre Gesundheit nicht in Ordnung war. Darunter auch Karl Gilles, der einzige Godesberger, Wirt aus der Gastwirtschaft Gilles an der Haltestelle Friesdorf. Ich habe ihn gebeten, Dich anzurufen und Dir von hier zu erzählen. Aber auch elf Mann auf einer Bude ist ein Problem. 1000 Rücksichten müssen genommen werden, sonst geht es einfach nicht. Der Raum, den Betten und Spinde übrig lassen ist etwa 2 m breit und 4 m lang. In ihm s(t)ehen zwei Tische aneinandergestellt und elf Schemel. Wenn eine Spindtür aufgemacht werden muss, und das ist alle Augenblick der Fall, dann muss mindestens einer eben

aufstehen und seinen Schemel unter den Tisch schieben. Das Essen ist bis jetzt ausgezeichnet. 2x haben wir Eintopf gehabt, die anderen Male Braten, Kart., Gemüse und schon zweimal Nachtisch.An jedem Essen war Fleisch. Abends gibt es Brötchen, Butter und reichlich Wurst. Einmal gab es sogar heiße Würstchen und Kartoffelsalat. Also prima. Was hier fehlt und auch mit dem besten Willen nicht zu beschaffen ist, ist Obst, deshalb bat ich dich schon, Äpfel zu schicken.

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Soeben habe ich eine herrliche Definition des Laufschritts gehört. Nachdem man uns gesagt hatte, daß wir wie die Geldschränke liefen, wurde uns der Laufschritt folgendermaßen geschildert. Die Füße berühren nur noch scheinbar die Erde, der Körper nimmt Stromlinienform an, der (unleserlich) steht senkrecht ab (,) in der Kurve berührt das an der Innenseite befindliche Ohr den Boden. Eben war Singen, den Keuchhustenverein hättest du hören müssen. Wir haben auch eine Blumenvase, die beständig umzufallen droht durch die Enge. Wehe, wenn keine Blumen drin sind. Da

die Heide abgeblüht und braun ist, ist das bei Gott nicht einfach. Besondere Kommandos schleichen sich zwischen hell und dunkel von rückwärts an die wenigen Bauerngärten in voller Deckung heran und organisieren (v. klauen) Staudenastern und dergl.

Morgens geht es um 6 Uhr raus. Zum Waschen und Frühstücken sowie Stube reinigen, haben wir ungefähr 1 Stunde Zeit. Dann beginnt der Dienst.. Gegessen wird zwischen 11 und 12 Uhr in der Kantiene von Steinguttellern, die wir nicht einmal selbst zu spülen brauchen. Die Mittagspause incl. Essen beträgt etwa 1 ½ Stunden. Dann ist wieder Dienst bis etwa 18 Uhr. Dann Abendessen, um 20:30 Uhr liegen wir in den Betten. Der Stubendiensthabende reinigt dann zum x-ten Male die Bude und um 21 Uhr ist Zapfenstreich und das auch samstags und sonntags. So früh habe ich, glaub ich, Samstags noch nie im Bett gelegen wie gestern. Unsere Betten sind übereinandergestellte Holzbetten mit Strohsack, dann haben wir einen blau-weiß karierten Kopfkissenüberzug und einen gleichfarbigen für die Decke. Die 2. Decke liegt auf den Füßen. Über dem Strohsack liegt

ein weißes Bettuch. So nun habt Ihr ein einigermaßen vollständiges Bild von unserem Leben hier.

Wir bekommen hier eine zweimonatliche Infanteristische Ausbildung und kommen kaum woanders hin oder nach Hause. Unsere Anschrift hat sich etwas geändert. Schreibt bitte nicht Soldat H. E., sondern Flieger H. E. um Gottes willen (unleserlich) Flieger. Gestern war ein anständiger Sandsturm. Heute regnet es. An unserer Stelle treibt sich eine Heidschnucken-herde auf unserem Exerzierplatz herum. Der Sand hat auch sein Gutes der Exerzierplatz ist nie nass und der Sand bleibt an den Brockenund den Stiefeln nicht so hängen wie z. B.Lehm.

Wie geht es Euch. Einige Kameraden bekamen Briefe, in denen von schweren Angriffen auf Köln die Rede war. Hoffentlich habt ihr nicht zu leiden gehabt. Liebes Lotting, wie kommst du durch. Mir ist noch etwas eingefallen. Ich habe den Vertrag an Rocholl nicht abgeschickt, er liegt auf meinem Schreibtisch. Schreibe ihn bitte ab und schreibe, was ich auf den darinlie-

genden Zettel geschrieben habe mit der Schreibmaschine ab und die klebe es in die Abschrift ein. Dann schicke die Abschrift an Rocholl und schreibe dabei, daß ein Vertrag wie er ihn haben wollte, bei Laufs nicht zu machen war. Ich hätte herausgeholt, was herauszuholen war und schlage ihn vor,diesen Vertrag zu unterschreiben. (Rocholl wollte einen Vertrag mit 100 Klauseln, die z. T. sehr kleinlich waren). Sachen, mit denen Du nicht zurechtkommst, schicke mir bitte sofort hierher.

Ich habe noch einige Wünsche und bitte Dich, mir folgendes zu schicken, 1.) Stiefelknecht 2.) Aspirin 3.) Füllhaltertinte, die ich gekauft habe (kl. Fläschchen) 4.) Bilder 5.) Bilder 6.) Bilder

Die Zivilhemden werden wahrscheinlich morgen abgehen. Gibt auf die kleinen Sachen wie Kragen, Knöpfchen, Manschetten Manschettenkn. u.s.w. Acht.

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Ganz seltsam ist der Betrieb, an einem gewissen Häuschen. Dieses Häuschen ist eine ansehnliche Baracke, wo alles nebeneinander aufgereiht sitzt. Licht ist nicht drin, sodaß morgens in der Dunkelheit sich jeder zurücktasten muß. Der Andrang ist bemerkenswert.

Ich habe Frau Klemmer von hier aus nochmals meinen Dank geschrieben. Hoffentlich klappt etwas. Wir haben hier auf der Stube einige, deren Frauen arbeiten. Der Verdienst dieser Frauen wird nur mit 1/3 auf die Rente angerechnet. Sollte man dir Schwierigkeiten machen, so könnte nur 1/3 angerechnet werden. Etwaige Geschäfte musst du in Dein Maklerbuch eintragen.

Ganz in unserer Nähe ist ein wunderschönes niedersächsisches Bauernhaus (.) roter Backstein mit grünem Fachwerk, Strohdach und alten Sprüchen. Auch einige Stücke typischer Heidelandschaft habe ich entdeckt, sie ist aber hier schon stark unterbrochen mit Landwirtschaft. Reinsehlen ist ein winziges Nest aus wenigen Häusern bestehend. Schneverdingen ist 1 ½ Stunden 

entfernt. Es wird wohl mehrere Wochen dauern, bis wir mal hinkommen. Nach Reinsehlen dürfen wir vorerst auch noch nicht.

Ich bin nun sehr hungrich auf Nachricht von Euch. Meinetwegen braucht ihr Euch keine Sorgen zu machen. Ich fühle mich gesund und frisch. Hoffentlich geht es Dir liebes Lottenkind gut.

Grüß mir die herzigen Kinderchen, die Omis und Anneliese

Und sei selbst herzlich gegrüßt und geküsst von Deinem

Soldat