Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 25. Juni 1944

Godesberg, den 25.6.44

Liebster Mann,

heute habe ich beinahe vergessen, dass Krieg ist: nach Wochen ist endlich wieder ein wolkenloser Tag gekommen, ich hatte herrlich und lange geschlafen, mittags aßen wir im Rheinland (die Menge war allerdings kriegsmäßig), nach Tisch sonnte ich mich bis zum Kaffee auf dem Balkon, nachher ging ich mit meinen drei Töchtern, Tulita und Leonie spazieren. Dazu gab es weder Alarm, noch hörte ich den Nachnichtendienst. Ich war also beinahe gedankenlos nur an Sonne und Kinder ausgeliefert. Und das war sehr schön.

In Rotenburg oder in Rheinsehlen? Ich bekomme ja durchschnittlich nur noch all 10 bis 12 Tage einen Brief von Dir. Findest Du nicht auch, dass das ein bisschen wenig ist? Auch wenn viel Arbeit da ist? Dein letzter Brief ist z.B. wieder datiert vom 16. Besonders, wenn diese Urlaubssperre, wie es doch wohl sein wir, Wochen dauern wird. Und was mag bis dahin hier alles sein und geschehen? Bei manchen schlägt die Fantasie darin geradezu Wellen.

In Rheinland aßen wir heute Ochsenzunge. Jürgen vergewisserte sich zuerst: Spucke ist da doch nicht mehr dran. Die ist doch wohl abgewischt?

Helga und Heidi helfen mir in diesen Tagen, da Lisbeth weg ist, wirklich sehr nett. Meine großen Töchter. Wie widersinnig ist es doch, dass Du jahrelang weg bist, immerhin doch so lange, dass es für die Großen schon graue Vorzeit ist, wie Du immer da warst. Helga kann sich sogar nicht mehr daran erinnern, dass Du täglich unten im Büro saßest. Es ist ja gar nicht anders möglich, dass sich bei vielen Menschen draus Konflikte ergeben müssen.

Von Schultzens aus Stettin haben wir noch nichts gehört. Nachdem das letzte Mal ausgerechnet am Berg so viele Bomben gefallen waren, haben wir etwas Sorge.

Briefeschreiben ist manchmal sehr dumm. Ich möchte jetzt weiter nichts, als Dich hier bie mir im Zimmer haben und alles andere würde sich dann ergeben. Aber Du bist nun dort bei Deinen dummen Stabshelferinnen und ich muß meine Kinder hüten. –

Eben habe ich den Töchtern Gute Nacht gesagt und ihnen das Lied von den Pfadfindern: Kun bwei kwami monni geni moni mana, beigebracht.

Gute Nacht und schreibe bald.

Deine Lotti.