Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 15. Februar 1942

den 15.2.42

Lieber, lieber Harald,

ich bin heute abend allein in meinem Zimmer. Mutter liegt ja im Bett (es ist nur Abspannung, und da ist es das Richtigste. Ich hatte es ihr ja schon vor vierzehn Tagen gesagt, sie solle sich hinlegen).

Es ist nun schon der zweite Abend, dass ich allein bin und dieses völlige Alleinsein abends nach all der Arbeit ist wundervoll. Erst, wenn es so ganz still um mich ist, empfinde ich so richtig die Behaglichkeit des Raumes, aber auch die Sehnsucht nach Dir wird heute abend sehr gross. Sonst komme ich ja vor Arbeit und dauerndem Zusammensein mit Anderen überhaupt kam dazu, meinen Gedanken und Empfindungen nachzuhängen. Ich müsste mehr Gelegenheit haben, völlig allein sein zu können, dann fände ich viel mehr zu mir selbst. Alles das, was an Empfindungen und Gedanken in die Tiefe geht, kommt bei dem dauernden Zusammensein mit Anderen überhaupt nicht zur Entfaltung. Manchmal habe ich überhaupt das Gefühl, ich verdorre etwas in Bezug auf die Stärke der Empfindungen und Gedanken und das kommt nur daher weil ich nie Gelegenheit habe, zu mir selber zu finden. Früher habe ich mich dagegen aufgelehnt und mich zumindest innerlich empört, jetzt, wo ich endlich allein bin, merke ich dass ich schon garnicht mehr darüber nachgedacht habe, das ich es vermisse und das ist schon ein Abstieg. Aber auch das muss schliesslich mit Resignation getragen werden, da es ja keine andere Lösung gibt.

Weisst Du, ich hätte Lust zu sagen wie Fontane: Eigentlich ist das ganze Leben eine fragwürdige Sache. Auch der Gedanke an die Kinder kann mich nicht vo diesem Gedanken heute abend abbringen, denn schiesslich gehen sie ja doch in einigen Jahren von einem fort und brauchen einen nicht mehr, wenn es, (wenigstens für mein Gefühl heute abend, aber das ist ja kein Dauerzustand) etwas Positives gibt, so ist es die Arbeit, die einen je nach Talent als Putzfrau oder Bildhauer ausfüllt und als Letztes und Ausschlaggebendes die wirkliche Liebe zwischen Mann und Frau, bei der man dann nicht nur gibt, sondern auch nimmt. Und dann ist es eben nicht mehr fragwürdig, das Leben.

Wie komme ich dazu, so bruchstückweise zu philosophieren? Doch blos, weil ich heute abend Zeit genug habe, meinen Gedanken nachzuhängen und möchte, dass Du hier bist. Das geht dann immer noch unter der Rubrik alleinsein. Tut Dir dieses Getrenntsein jetzt auch manchmal weger wie früher? Hast Du auch so Minuten, in denen man meint, es nicht aushalten zu können? Mir ist dieses ewige Alleinsein (denn weder Kinder noch Omis rechnen dann als Zweiter) manchmal ganz fürchterlich und ich weiss dann wirklich nicht, was ich mir zum Trost tun soll.

Man muss die Tage vergehen lassen und auf den Urlaub warten weiter bleibt nichts.

Heute traf ich Wilhelm Düren. Er muss Mittwoch nach Lüdenscheid und wird dort ausgebildet. Theo ist auch ganz plötzlich eingezogen worden, hat ganz schnell acht Tage Heimaturlaub bekommen um in Duisburg seine Sachen zu regeln, bekommt am Abend seiner Ankunft ein Telegramm, dass er sofort zurückkommen müsse und ist jetzt schon in Russland. Das ging alles völlig Hals über Kopf in den letzten drei Wochen. Weisst Du, jedes Schicksal ist doch heute im Krieg schwer und es bleibt nur übrig, sich mit einem Panzer von Sturheit zu umgeben und auf diese Weise die nächsten Jahre zu übersauern (es soll überdauern heissen, aber vielleicht ist auch dieser Ausdruck richtig). Und Trost ist dann das Gefühl, dass irgendwo ein anderer Mensch ist, auf den man sich in Gedeih und Verderb felsenfest verlassen kann, zu dem man mit allem kommen kann und der für einen jederzeit da ist.

Der einsame Abend scheint mich philosophisch zu machen, aber die Gedanken rutschen so in die Maschine. Ich kanns nicht ändern.

Und weisst Du, was ich jetzt tue? Ich gehe ins Bett. Ich habe einen heissen, aber schönen Tag hinter mir und morgen muss ich früh raus.

Ich gebe Dir viele liebe Küsse, mein lieber, lieber Mann.                 Din Lött.