Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 11. September 1944

den 11.9.44

Mein lieber Mann!

Ich sitze hier bei herrlicher Sonne auf dem kleinen Balkon, die Mu und ich haben vorhin gemütlich unseren Sonntagskaffee getrunken, und draußen ist eine Stille wie im tiefsten Frieden. Unwillkürlich kommen auch mir dann die Erinnerungen an die Hessenreise, an die Wanderung nach Nassenerfurt, an die Spaziergänge in Marburg und an die Melsunger Straßen, an das Kaffeetrinken in Meyers Wintergarten und an unsere persönlichen kleinen Erinnerungen in diesen Tagen wie Du morgens bei Nanne ankamst und wie ich Dich Sonntags nach Tisch auf Deinem Zimmer bei Meyers besuchte. Diese ruhig-sonnigen Herbstnachmittage lassen überhaupt immer viel Erinnerung aufstehen.

Diese zwei Stunden, die ich hier in der Sonne sitze, haben mich sozusagen völlig ins Gleichgewicht gebracht, und es kommt einem dann geradezu komisch vor, dass die Alliierten 100 km Luftlinie entfernt stehen sollen. Aber gleich wird es ja wohl auch wieder Alarm geben.

Heute nach Tisch haben Tiefflieger die Godesberger Straßen beharkt, dass es schon (da geht schon die Sirene) eine Sache war. Ich habe in den letzten Tagen öfter Bordwaffen gehört, wenn sie direkt über einem sind, ballert das ja ganz ordentlich, das habe ich mir gar nicht so vorgestellt. Ich muss deshalb die Kinder bei Voralarm hier haben, heute morgen hatten wir Voralarm, den dritten oder vierten, um 11, und da es verhältnismäßig ruhig blieb, dachte natürlich um zwei keiner mehr dran, dass noch nicht entwarnt war, und ich wollte gerade die Kinder zum Hitlerplatz schicken, als von dort der Rabatz losging.

Herr Foegen ist seit vorgestern hier. Der nimmt sich auch Zeit, bis er weitergondelt. Eben kam noch ein Kamerad mit dem Wagen und nun trinken sie im Forsthaus Kaffee. Immer trudeln Ehemalige ein, die erst mal hier ausruhen. Und immer ist es, wie Du geschildert hast. Vorne hocken zwei, die Ausguck nach Tieffliegern halten, und im übrigen sehen sie aus wie fahrende Büsche.

Ich habe heute die eiserne Kassette voll Silber gepackt. Die und noch einige Koffer tue ich zu Herrn Arndt in die Schule, damit Du Bescheid weißt. Herr Arndt hat mir in den weitläufigen Kellern hinter dem Kohlenkeller noch eine Nische gezeigt, die kein Mensch finden kann und die Platz für allerlei bietet. Dorthin tut er auch seine Sachen, und dann kommen Kohlen und Holz davor, und dann kann das keiner finden. Dies ist für den Fall gedacht, dass wir für einige Tage das Haus verlassen und es dann ohne Aufsicht steht. Und Du weißt nun für alle Fälle auch Bescheid. Ich schreibe an unsere Koffer die Namen, mitschleppen kann ich Tischzeug und Silber ja nicht. Wenn wir wegmüssten, dürften wir ja doch nur das Nötigste mitnehmen.

Man braucht nur ein paar Stunden in der Sonne zu sitzen, und schon kommt einem diese Wirklichkeit wie ein Märchen vor. Ich bin auch schön warm auf dem Balkon geworden, d.h., mit Hilfe von zwei Wolljacken. In den Zimmern ist es empfindlich kalt, und wir hatten heute morgen nur fünf Grad Wärme. Schlosser Honnef hat die Öfen trotz mehr-

facher Bitten noch nicht nachgesehen, und nun ist er weg zum Schippen.

Ich habe mir vorhin ausgedacht, wie schön es wäre, wenn Du plötzlich an Hand einer Kurierfahrt hier ständest. Aber nun kann es doch lange dauern, bis wir uns wiedersehen. Bleibt Ihr nun dort? Ich freue mich über jeden Brief und hoffe, dass morgen wieder einer da ist. -

Heute abend bin ich durchaus sorglos und mache mir über den Krieg keine Gedanken. Und gestern war ich mit meinen Nerven buchstäblich am Ende. Ich setze mich jetzt und blicke ein bisschen auf die Kinder, und dann hätte ich allerdings gerne was zum Lesen. Gute Nacht,

Deine Lotti