Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 21. Dezember 1940

den 21.12.40

Gottseidank!!! Alles ist aus dem Haus zur Weihnachtsfeier im Kindergarten. Dieses Theater. Die Kinder waren nervös vor Aufregung, die Grossen schrien, weil sie froren, der Klaus, weil er müde war, Ursel hatte einen Sommermantel erobert und wollte absolut den ohne Kleid drunter, anziehen – das war übrigens das aufregendste Kapitel in der ganzen Anzieherei und die Omis…. Also Du weisst ja Bescheid.

Jetzt haben wir beide ganz allein eine Stunde vor uns, ehe der Betrieb weitergeht. Ich habe mir rasch eine schöne Tasse Kaffee gemacht, rauche eine Zigarette und habe das Weihnachtsheft der Dame vor mir. Im Radio kommt gleich das Wunschkonzert. Ich schwelge also. Draussen fährt ein Pferdeschlitten klingelnd vorbei.

In diesem Weihnachtsheft ist ein grosses doppelseitiges Bild von Frau Angelico da Fiesole, eine Verkündigung. Es ist entzückend und ich freue mich schon eine ganze Zeit daran. Diese zarten pastellhaften Farben. Durch die Bogengänge eines Hauses sieht man ein Stück Wiese, jedes Pflänzchen bis ins Kleinste ausgeführt, das von einem Holzzaun begrenzt wird und dahinter schliesst das Bild bis an den Rand ein dichter Wald ab.

Und nun war ich wieder mit meinen Gedanken abgeschweift du kam vom Hundersten ins tausendste. In der Hauptsache drehten sie sich um die Zukunft, ob wir so viel verdienen, dass wir uns neben dem Leben auch etwas vom Schönen des Lebens leisten können, um die Angst,, dass für mich die Jugend bald, oder wenigstens in ein paar Jahren vorbei ist und dass ich noch hübsch für Dich bleiben will und mit Dir noch etwas vom Leben haben will und dass ich sogar auch noch einmal ein Fest mitmachen möchte mit einem recht schönen Abendkleid (oder einem anderen) auf dem ich merke, dass ich wirklich noch jung bin, ehe ich als Wauwau mit meinen Töchtern mitgehen muss. Aber Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich mich mit solchen Gedanken,, die wirklich nicht in den Krieg gehören, viel plage, es waren nur so Gefühle, mein Tag ist wirklich so ausgefüllt, dass mir zu unnützen Gedanken nicht viel Zeit bleibt. Und ich möchte einmal eine recht schöne Reise mit Dir machen. Und von den allergrössten Sorgen verschont bleiben. Die ollen Gedanken kamen auch blos, weil ich im Spiegel ein paar silbrige Härchen an den Schläfen entdeckte. Man musste aber sehr genau zusehen. Aber so etwas bring eine Frau auf trübe Gedanken, gerade wenn sie meint, sie stehe noch vor dem Leben und das Kinderkriegen liegt hinter ihr. Und ich freue mich immer, wenn Helga und Heidi sagen: Unser Mutti ist eine schöne Mutti. Harald, jetzt lache über den Quatsch denn ausradieren kann ich ihn nicht mehr und einen neuen Brief fange ich auch nicht an.

Montag

Wir haben eben den Baum im Ständer festgemaht und Anneliese holt die Leiter. Und Weihnachtsstimmung ist nun doch da. Sie kommt unwillkürlich durch den Geruch der Tanne. Eben kam dazu auch Dein liebes Paketchen mit dem Herd und den Pralinen. Danke schön. Der Herd passt genau. Helga und Heidi treiben sich auf dem Flur herum und Heidi reichte mir gerade ihre alte Puppe, der sie aus Lappen ein Kleid umgewurschelt hatte. Das ist ein Geschenk für Ursula. Heute werde ich nur in Absätzen schreiben.

------- Ich schliesse diesen Brief, denn er soll jetzt um zwei in den Kasten. Die eventuellen Fortsetzungen kommen dann im nächsten.

Die erwartungsvolle und festliche Stimmung ergreift mich immer mehr, trotzdem ich für mich persönlich nicht viel erhoffen kann (Dein Kommen) Und das hauptgeschenk für mich morgen wäre ein Brief.

Viele, viele Küsse.

Deine Lotti.

Beantworte nur den Geschäftsbrief. Kannst Du ihn vorlegen? Ich habe ihn extra nicht schön geschrieben, weil er an Dich sein soll. Würde ein Telegramm helfen?