Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 13. September 1944

Den 13(?).9.44

Mein lieber Mann!

Ich kann Dir eigentlich immer nur einen Lagebericht geben, an etwas anderes denken wir ja auch nicht mehr

Heute steht in der Zeitung, dass u.a. die gesamte Stadt Aachen geräumt worden ist und dass die Bewohner in Marschblocks, geführt von ihren Ortsgruppenleitern, den Weg ins Reich angetreten hätten. Darüber ist ein dreispaltiger Artikel geschrieben worden mit heldenhaften Worten und dass die Bewährung nun für unseren Gau kommt. Immerhin kann man ja wohl nicht die ganze linke Rheinseite ins Reich hinüberschaffen. Wo will man denn mit den Menschen hin?

Unser Gepäck steht fertig da, Notgepäck für den Keller und das andere, falls wir wegmüssen. Das kann aber nur das Notwendigste sein, denn man darf nicht über 25 Pfund mitnehmen, und die Kinder können nichts Nennens-

wertes schleppen, und Mu und Lisbeth kriegten mit ihren Sachen auch 25 Pfund zusammen. - Heute steht in der Zeitung, dass das Fett für die nächste Zuteilungsperiode, also ab nächsten Montag, für die ganze Periode sofort bezogen werden kann. Man rechnet also damit, dass in der nächsten Woche die Fettversorgung stockt. (Zum zweiten Mal Vollalarm um 10 Uhr).

Nun stell Dir vor, dass das Fett in viereinhalb Wochen doch ranzig wird. Außerdem gibt es im ganzen Monat nur noch ein halbes Pfund Butter pro Person. Die Leute wollen jetzt natürlich das Fett sofort beziehen, und die Läden haben es nicht. Ich sehe uns ja diesen Winter schon hungern. Ich würde ja zu Frau Hüllen wegen Kohl gehen, aber ich habe ihr geschrieben. Ich kann nicht über die Landstraße gehen, und dann kommen die Tiefflieger.

Ach, Harald, keiner ist mehr richtig fähig, seiner Arbeit nachzugehen, es gibt nur ein Thema: unser Schicksal in der nächsten Zeit. Und je näher es rückt, um so unsicherer wird man, weil man nicht weiß, was man tun soll. Wenn nicht neue Divisionen aus dem Reich an den Grenzen stehen - auf alles, was zurückflutet, kann man nicht mehr bauen, und ich könnte tolle Dinge erzählen, und leider waren viele Offiziere die ersten, die ihre Leute im Stich ließen.

Die Unsicherheit für uns heißt: Überrennen sie uns, oder wird das Land zwischen Eifel und Rhein Kriegsschauplatz gr0ßen Stiles? Heute morgen sind die Pädalehrer wie Schwinger, von dem Borne usw. mit Major Zimmermann zum Schippen weg.

Ich glaube nicht, dass Ihr in den Westen verlegt werdet. Man wird Euch dort zur Verteidigung des Reiches lassen, und die linke Rheinseite wird u.U. aufgegeben. Aber wann und ob wir beide uns dann wieder-

sehen, weiß der Himmel. Die Nerven aller sind zum Zerreißen gespannt und ich glaube, in Finsterwalde könnt Ihr Euch die Wirklichkeit nicht vorstellen.

Kein Alarm, trotzdem Tiefflieger und Schießerei und kein Kind zuhause. Meine Nerven werden wirklich angespannt. Klaus und Büb waren gestern wenigstens so vernünftig und haben sich hingeworfen, aber Jürgen und Ursel!! Ich habe das Gefühl, als wenn in den nächsten Tagen irgendwas zur Entscheidung kommt.

den 14.9.44

Es regnet vom Himmel hoch. Man hat man das Gefühl, der Krieg geht nicht weiter. Ich lege Dir einen Artikel über die Aachener Räumung bei mit hohen Worten. Südlich und nördlich des Hohen Venn wird ebenfalls gekämpft. - Weil es draußen regnet, glaubt man nicht, dass 70 km weiter die Amerikaner stehen, und ich kann heute ganz anders arbeiten als gestern.

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