Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 23. November 1940
den 23.11.40
Liebster Harald!
Ich komme soeben aus der Stadt und habe mit Omi Hechtle Weihnachtsmann gespielt. Da tauchte nun auch ein Weihnachtsgeschenk auf, das ich eigentlich voriges Jahr bekommen sollte - der Kompottlöffel. Der war nämlich nicht verkauft, wie das Fräulein bei Schumanns damals sagte, sondern sie hatte ihn so gut verstaut, dass er ihr erst jetzt wieder beim Aufräumen in die Hände kam, noch mit unserem Namen auf dem Papier. Er will also doch zu uns. Es war sehr weihnachtlich in der Stadt, und alle Leute waren unterwegs. Von Oma Endemann bekommen wir eine Gans. Teichmüllers in Nassenerfurt wollen sie ihr ablassen. Das Pfund zwei Mark. Es ist doch eine Unverschämtheit von den Bauern, und man sollte ihnen die Viecher vor die Füße werfen. Die Ente bekommen wir nicht, trotzdem sie von Voltzens fest versprochen war. Aber die Nassenerfurter Bauern geben sie nur her, schreibt Tante Lina, wenn man ihnen noch nebenbei etwas besorgt, was sie auf Karten oder Punkte nicht kriegen können. Bauern sind eben doch alle gleich, und die Nassenerfurter machen auch keine Ausnahme. Aber über die Gans freue ich mich doch sehr.
Jetzt schnell eine geschäftliche Frage. Ich habe Dir doch heute das Schreiben der Gestapo geschickt. Die Mieteinnahmen sind doch nun beschlagnahmt. Nun habe ich zwei Rechnungen, eine von Künz und eine von Beerenrath hier. Darf ich die nun bezahlen? Und wie ist es mit den Steuern? Kann ich die auch weiterzahlen? Oder muss ich jetzt alles liegen lassen bis Du kommst? Und stimmte der Auszug, den ich Dir damals machte? Ich weiss ja damit garnicht Bescheid. Dass der Bauunternehmer Künz als neuer Reflektant auf das Haus in Frage kommt, schrieb ich Dir ja schon. Aber das kannst Du ja auch nur regeln. Dem Staat ist es doch bestimmt lieber, er bekommt das Geld statt so einer alten Bruchbude. Aber man müsste erst wissen, ob Theis nun das Haus bekommt oder ob es ihm abgeschlagen wird. Schreibe mir doch bitte darüber.
Hast Du nun Aussicht auf Arbeitsurlaub? Ich kann auch die Holbachschen Sachen nicht mehr regeln, weil das Scheckheft mit den Blankounterschriften leer ist und ich ja kein neues beantragen kann.
Nach einmal die Sache Weil. Willst Du ihnen nicht selber schreiben, auch dass die Steuern gezahlt werden müssen und die Rechnungen?
Hier wird wieder enorm eingezogen. Willi Schumann hat heute ein Schreiben bekommen, er solle sich in den nächsten Tagen bereithalten. Von Kurt Wiesenthal soll ich Dich grüßen, er ist sehr beschämt, dass er Dir noch nicht geschrieben hat, aber er schuftet auch sonntags wie ein Wilder. Auch von Klemmers soll ich Dich recht herzlich grüßen, und sie hoffen, dass sie Dich sehen, wenn Du auf Urlaub kommst.
Maria hat einen sehr langen Brief geschrieben. Sie hat schreckliches Heimweh nach uns und stellt fest, dass sie doch nicht hätte gehen sollen. Aber das hätte sie ja vorher wissen können.
Wenn Du keinen Arbeitsurlaub bekommst und in eine Stadt nicht zu weit weg kommst, soll ich Dich dann besuchen? Und wie ist es mit. dem Weihnachtsurlaub? Ob Du den bekommst? Denn man soll die Feldpostpakete ja möglichst in der ersten Weihnachtswoche wegschicken und dann sind die Sachen zu Dir unterwegs und Du nach hier oder ich baue Dir hier Deinen Tisch auf und Du kommst nicht. Das wäre doch beides sehr betrüblich.
Ich hoffe nun, dass morgen Nachricht von Dir kommt. Ich habe seit der kurzen Karte nichts mehr von Dir gehört. Hast Du Engels geschrieben?
Ich bekomme heute die Rechnung für Deine Lebensversicherung. d.h. eigentlich zwei, eine über 69.- Mk. Und einiges und eine Zusatzversicherung über 4,40 Mk. Wissen die dort noch nicht, dass ich nur die Sicherheitsprämie zahle? Oder soll ich den Betrag einfach überweisen oder muss ich nochmal eine Erklärung dabeischreiben? Vielleicht kommt Herr Becker nächste Woche, dann kann ich den ja auch fragen. Er macht mir ja die Ass-Abrechnung, wenn er mir die Beiträge Scheben und Wulff bringt.
Schreibe mir recht bald, wenn Du kannst. Ich fühle mich in vielen geschäftlichen Dingen doch recht verwaist ohne Deinen Rat und bin erst wieder ruhig, wenn Du mir in noch so kurzen Worten Bescheid gibst.
Sonst geht es uns allen sehr gut. Die Kinder husten noch, aber es ist nicht mehr so wild. Der Keuchhusten scheint gerade noch abgebogen zu sein. Morgens singen alle um die Wette Weihnachtslieder. Tulita hat sich Deine Adresse geben lassen. Sie will Dir auch schreiben. Hoffentlich wird daraus mehr als aus Helgas Vorsätzen.
1000000000 Küsse
Deine Lotti.