Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 12. Dezember 1940

den 12.12.40

Liebster Harald!

Ich werde gleich ins Bett gehen, denn ich fühle mich gar nicht gut. Ich glaube, ich bekomme die Grippe. Helga kam mir heute auch nicht besonders vor. Ich habe ihr im Bett noch ein heißes Zitronenwasser gegeben. Und ich werde einen Brombeergeist trinken. Jetzt lache bitte nicht. Morgen bekomme ich doch wieder Post, ja?

den 14.12.40

Eben habe ich Deinen Brief bekommen, und sieben Minuten später waren schon 25.- Mk. auf der Post. Ich freute mich, dass ich etwas für Dich tun konnte und hatte heute zufällig 50.- Mk. abgehoben. Hoffentlich bringen sie Dir Glück, dass Du fahren kannst. Päckchen hatte ich Dir ja noch nicht geschickt, weil ich nicht richtig wusste, was für Dich dort in dem reichen Holland nötig ist. Und Gessler will Dir schon ewig Zigaretten schicken, hoffentlich sind sie mittlerweile angekommen. Ebenso die Partei.

Hattest Du den Brief mit dem kleinen Buch bekommen? Weil Du nichts davon schreibst, weiß ich nicht, ob es als Brief durchgegangen ist.

Um Dir zu schreiben, muss ich mir wirklich die Zeit stehlen und tue es nur zu gerne. Wirklich, Deine Briefe sind mir dieselbe Freude wie Dir.

Gestern sind nun die Pakete an Schultzens und auch eins an Tante Klara abgegangen. An Frau von Salvini habe ich ein Paket mit Äpfeln geschickt, weil es dort überhaupt keine gibt. Heute kam auch schon ihr Weihnachtspaket an, eine Vase und darin lauter Bonbons.

Mit Deinem Brief kam heute einer von Heinz Schilling. Ich soll ihm Deine neue Anschrift mitteilen. Ein Brief von ihm an Dich kam zurück. Er sitzt wieder in Polen, von einer Reklamation ist also scheinbar nicht mehr die Rede. I

Ich finde es schrecklich, Harald, dass Du in solch einer stupiden Umgebung bist, und nun sollst Du erst recht viele Briefe bekommen. Sie werden ja wohl nicht alle tiefen Inhalts sein, denn wenn ich jeden Tag schreibe, weiss ich ja nicht viel Neues, aber wir Beide sind doch dann eng verbunden.

Heute scheint die Sonne, aber gestern war ein ganz diesiger Tag mit graugelber Luft, so dass wir mittags noch Licht brennen hatten. Da habe ich denn einen improvisierten Adventskaffee mit Kerzen, Stövchen, Plätzchen und leiser Radiomusik gemacht.

Wie wird es jetzt mit dem Weihnachtspaket? Ich habe Dir noch keines zurechtgemacht, habe aber Deine ganzen Geschenke hier liegen, weil ich doch immer hoffe, dass Du kommst. Was könnten wir denn noch tun, um Dich loszueisen?

Nächste Woche muss ich nun den Weihnachtsbaum besorgen, wie schön haben wir das alles früher zusammen getan. Heute habe ich auch ein paar Mistelzweige gekauft. Auch in unserer Familie bilden sich jetzt ganz feste Traditionen heraus, und das gibt ja dem Weihnachtsfest die eigene Stimmung. Und ich sagte ja schon, dass Anneliese in der Beziehung etwas von Tante Grete hat. Frische Decken und bezogene Puppenbettchen gehören auch bei ihr mit dazu. Ihr Zimmer hat sie auch schon mit einer weissen Decke und einem Tannenstrauß geschmückt, und ich musste eigens die zwei Treppen hoch, um es gebührend zu bestaunen. Und echtes Bohnerwachs hat sie uns besorgt, dass zu Weihnachten alle Böden glänzen. Für alle Kinder hat sie etwas besorgt und ich glaube, für mich auch, sie tut so geheimnisvoll mit Küchenhandtüchern.

Gleich muss der Brief zur Post, wenn Du ihn übermorgen haben sollst.

Ich lese jetzt wieder in H.St. Chamberlains „Grundlagen des 20. Jahrhunderts“. Es ist doch merkwürdig, dass ein Onkel (war es, glaube ich, oder Vetter?) Chamberlains der größte Verehrer des Führers war und seherisch voraussah, kurz vor seinem Tode, dass durch den Führer die Welt in ihrem Grund geändert werden solle und dass er ruhig sterben könne, weil er wüsste, dass in dem Chaos dieser Welt der Führer als Gründer eines Neuen käme.

Viele, viele Küsse,

Deine Lotti