Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 12. Dezember 1940
den 12.12.40
Liebster Harald!
Wenn ich mir jetzt nicht einfach die Zeit nehme, um Dir zu schreiben, gibt es heute überhaupt keinen Brief, und das will ich Dir doch nicht antun. Es ist doch verflixt viel Arbeit in solch großem Haus mit so vielen kleinen Kindern. Und man arbeitet und arbeitet und sieht eigentlich doch keinen Erfolg. Wir haben heute mit dem Weihnachtshausputz angefangen. Dazu backe ich heute wieder Plätzchen, und enorm viele Wollsachen mussten gewaschen werden. Draußen regnet es, was das Zeug hält, schon den ganzen Tag, und die Kinder sind dementsprechend wild. Man muss schon in einem Haus mit so vielen Kindern manchmal fünf gerade sein lassen, um sich sein Selbst zu erhalten. Sonst wird es ganz von der Arbeit begraben, und man ist nur eine bessere Putzfrau. Aber die weihnachtliche Putzerei mit Anneliese erinnert sehr an meine Kindheit und Tante Grete. Sie ist unermüdlich und dabei von der richtigen, guten Stimmung, die keine Nervosität aufkommen lässt, auch wenn alle fünf dabei herumwimmeln.
Heute wirst Du ja wohl meinen Brief mit der Wielschen Anforderung erhalten haben. Hoffentlich hat er Erfolg, und der Kommandeur hat den seinen wohl auch schon. Und wenn Du kommst, machen wir auch den Antrag auf die Kinderbeihilfe fertig. Sie hat sich zum 1. Januar verändert. Man bekommt sie vom dritten Kind ab, also für uns 30,- Mk., und es ist keine Einkommens- und Höchstgrenze dabei festgesetzt. Das wäre doch fein. Mit 30.- Mk. kann ich schon allerhand anfangen für die Kinder. Und hast Du von dem neuen Steuergesetz gelesen für diejenigen, die in den Osten ziehen? Von der Einkommensteuer ist man demnach für die ersten Jahre ganz befreit und die anderen Steuern werden auf die Hälfte herabgesetzt. Auf diese Weise will man eine gute Kapitalbildung im Osten ermöglichen.
Morgen packen wir nun auch das Paket für Schultzens. Ich habe bei Holstein und Düren da-mals ein reizendes Kristallkännchen in modernem Schliff für Rum oder Arrak gekauft. Dann braucht man auf einen zierlichen Teetisch nicht die grosse Flasche zu stellen. Und dann bekommen sie ein Buch und Jochen ein hübsches Tintenfass in Schwarzwälderarbeit.
Ursel hat sich neben mich gesetzt und stört ganz entsetzlich. Sie redet wie ein Buch und geht mit ihren nichtsnutzigen Fingerchen an alles. In der Küche nimmt Omi Endemann eine Ente aus, die heute von Tante Lina geschickt wurde. Aufheben bis Weihnachten können wir sie nicht. Sie wird am Sonntag gegessen...... Jetzt stehen sie zu dritt um mich, zanken sich, und eine Riesenbrüllerei ist entstanden. Auf diese Weise wird der Brief dann nicht sehr lang und auch nicht sehr schön
Ursel hat eine Hängenase…. Gottseidank Anneliese hat sie raustransportiert, Helga geht mit Tulita jetzt grünes Garn kauf, Heidi ist in die Küche gewandert und sieht mit Klaus zusammen dem Ausnehmen der armen Ente zu. Für einige Zeit ist also wieder Frieden.
Ich warte genauso auf Post wie Du auf deine. Morgens warte ich auf den Briefträger, oder vielmehr die Briefträgerin, und nachmittags stelle ich mich ans Erkerfenster und gucke auch, bis sie kommt. Viele, viele Küsse,
Deine Lotti
Ich weiß heute nicht viel Neues, aber Du sollst Deinen Brief haben.