Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 14. Dezember 1940
den 14.12.40
Liebster Harald!
Jetzt habe ich mich zuerst mal auf die Couch fallen lassen. Ich habe von 5 bis 8 Uhr "Prätzen debacken von de Pappi und de Kistkind" wie Ursel sagt, und von 5 bis 6 haben mir die Gören geholfen. Zwischendurch verschwand Klaus aus einem dringenden Bedürfnis heraus, blieb da zehn Minuten und sang mit schallender Stimme selbsterfundene Lieder. Sie sind göttlich. Zwischen 6 und 7 Uhr glich diese Küche dann einer Hotelküche. Die Ente wurde gefüllt, ein Sauerbraten eingelegt, Plätzchen geformt, Jürgens Brei gekocht, das Abendessen für die Kinder gemacht, und das alles mit einer Gasflamme, denn die beiden anderen sind immer noch nicht heil.
Und nun sitze ich hier oben auf der Couch und Du in Gedanken bei mir. Alle anderen sind noch unten beschäftigt. Auf dem Schreibtisch steht das Gewächs, das mir damals Hjalmar von Schwartze schenkte, mit drei Blüten. Wie der kleine Tisch vor der Couch augenblicklich aussieht, will ich Dir lieber nicht schildern. Die Schreibmaschine hat gerade noch Platz. Aber daneben liegen Deine zwei letzten Briefe, und ich sehe immer mal wieder rein und lese auch tüchtig zwischen den Zeilen und freue mich tief, dass Du mich so richtig lieb hast. Durch die Trennung hat man Zeit, sich das Bild des anderen wieder in seiner Wesenserscheinung zu gegenwärtigen, die man an ihm liebte. Und das war vielleicht in der letzten Zeit etwas vergessen worden.
Ich glaube überhaupt, dass solch lange Trennung (wir sind es noch nicht lange) in den Ehen eine klare Entscheidung bringt, ob man zueinander gehört. Deshalb gab es dann nach dem vorigen Krieg auch die enorm vielen Scheidungen. Denn wie Dir klar wird, dass Du für immer zu mir gehörst, wird manchem auch klar, dass seine Ehe nicht mehr das war, was sie sein sollte und dass nur die tägliche Gewohnheit die innere Fremdheit überbrückte und dass sie nur zwei Mieter in einer Wohnung waren.
Und während ich Dir dies alles schreibe, spukt mir nun die eine Frage im Kopf herum, ob Du wohl kommst. Dir wird es ja wohl genau so gehen. Aber ich kann Dir doch nicht einen langen Brief über das Thema schreiben, trotzdem ich es am liebsten möchte. Und Ohne Dich bin ich doch nur halb. Wir Frauen können doch auch allerlei und trotzdem ist uns nur richtig wohl, wenn wir Euch die Verantwortung aufpacken können und wenn wir unsere ganze Selbständigkeit dabei verlieren. Auch jetzt, wo Du weg bist, bist Du doch dauernd bei mir wie ein unsichtbarer Schatten, von dem ich mich beschützt fühle und der alles für mich ordnen wird, wenn ich nicht mehr weiter kann und das, trotzdem Du weit weg bist.. Aber ich fühle, wie ich am Faden Deiner Meinungen und Entscheidungen entlang laufe. Und von da aus fühle ich dann wieder die Kraft und ruhe zu meiner Arbeit. Und die Freude über etwas Gelun-
genes wird da dann wieder abgelöst durch den Ärger, dass trotz allem Abzappeln alles nicht 100 %ig gut wird, weil die Anforderungen eben so vielseitig sind. ----- Und jetzt war ich über das Thema für einige Minuten ins Nachdenken geraten, bin durch verschiedene Ansichten und Gegenansichten gestiegen ( schade, dass ich nicht gut Gedanken formulieren kann) und komme jetzt auf ein anderes Thema.
Zuerst mal: Klaus hat gestern Stecknadeln in die Kartoffeln gesteckt. In aller Ruhe war er damit beschäftigt, wir haben es aber noch gemerkt.
Und der hübsche Adventskalender ist nur noch ein trauriges Wrack. Ursel hat deswegen schon von allen Seiten Keile bezogen. Jetzt hat die Omi Endemann ihn weggetan und ihren Kalender von den guten Schafen dahin gehängt und wundert sich nun, wenn Klaus und Ursel ewig davor auf dem Sofa stehen. Die beiden halten lange Debatten über das Thema Schaf, und Heidi mischt sich dann mit immerhin originellen Ansichten darüber ein.
Ach, Harald, ich glaube, ich musste doch fünf Kinder haben, wenn mir auch oft der Geduldsfaden bei ihnen reißt. Aber jedes ist in seiner Art so niedlich, und sie hängen alle fünf so an mir, und ich fühle sie auch so als Inhalt meines Lebens (wenn ich auch manchmal ein Rabenmutter bin und sie ihrem Schiksal überlasse, weil ich mir die Haare ondulieren lasse). Hoffentlich bekommen wie sie nur ohne große Sorgen groß. Dann werden alle fünf bestimmt ihr Elternhaus in Gedanken behalten als ein fröhliches, in dem Arbeit und Frohsinn gleichermaßen zu ihrem Recht kommen und ebenso Schönheit, Geistiges und Freude an hübschen Dingen.
Du, wir sind immer noch allein im Zimmer. Das wäre uns ja bald eine Flasche Wein wert. Und ich hätte auch nicht so intensiv mit Dir erzählen können, wenn mir immer dazwischen geredet worden wäre. Es ist nur schade, dass mir dabei Deine Antworten fehlen. Und gleich wird auch Schluss gemacht, denn ich sehe Deine Unterhosen durch. Ich habe heute den Wäscheschrank aufgeräumt und dabei entdeckt, dass die letzten, die damals aus der Wäscherei kamen, noch nicht nachgesehen waren. Also, mir wurde ganz flau, denn im Geist sah ich Dich die Dinger auf den Stuhl werfen und schimpfen. Ich hatte aber wirklich nicht mehr an sie gedacht, und nun habe ich sie schnell unter den Arm geklemmt und hierhin geschleppt. Aber es sind nur ganz winzige Löcher drin. Da siehst Du wie lebendig Du in jeder Beziehung bei mir bist.
Zuerst wird aber jetzt Jürgen versorgt. (Wirst Du nicht auch immer einverstandener mit dem Namen?) Er wird so niedlich. Wenn er mich sieht, hält er lange Reden und hält den Kopf dabei wie Gesler.
Also, ich stopfe nicht mehr!!! Ich habe eine Zeitlang am bruddelig warmen Ofen gesessen, versorge jetzt die Kinder, nehme mir ein paar Bonbons mit und lese im Bett. Es ist ja Samstagabend. - Unten riecht es verzweifelt gut nach gebratener Ente. Gute Nacht!
Deine Lotti.