Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 21. Dezember 1940

Bad Godesberg, den 21.12.40

Nun kommen noch ein paar Minuten für Dich dran, lieber Harald, nachdem ich so und soviel Weihnachtskarten und Briefe geschrieben habe. Ich habe eben Deinen letzten Brief wieder gelesen. Du brauchst nicht böse auf Dich zu sein, weil Du die Enttäuschung nicht mit Gleichmut getragen hast. Wenn und solche Enttäuschung mit Gleichmut aufgefasst hättest, hättest Du nicht viel empfunden und dann wäre es schliesslich kein Opfer gewesen, als das Du es auffastest. Ich habe ja genau so revoltiert wie Du, aber dann man schliesslich Sachen, die einem quer eingehen überwindet und mit vollem Bewusstsein bejaht oder überwindet, sind für den inneren Menschen die positiven Ergebnisse dabei an und mimt denen man wächst.

Pappi, ich kann nicht philosophieren, aber Du verstehst mich doch. Was ich bedachte, hätte auf zwei Schreibmaschinenseiten Platz gefunden, ich kam wieder von einem ins andere bei diesem Thema, aber ich bin eben kein Wilhelm Düren. D.H. ich beneide ja doch glühend Frauen, denen es gegeben ist, klar und tief zu denken und sich Erkenntnisse nicht nur zu erobern, sondern sie auch zu formulieren. Ich habe dabei Ina Seidel vor mir, deren Lennacker ich gerade wieder lese. Es ist doch ein sehr gutes Buch und ich möchte das Wunschkind auch noch einmal lesen. Ich habe vor 10 Jahren einen sehr flüchtigen Eindruck davon gehabt, weil ich es als Bibliotheksbuch las und die schmökert man doch meistens.

Außerdem kann ich jetzt überhaupt schwer meine Gedanken zusammenhalten denn im Radio ist Samstagabendmusik und Zarah Leander sang gerade: Kann denn Liebe Sünde sein? Und so einen Quatsch hört man doch immer wieder gerne.

Sie fangen wieder an zu schiessen. Heute morgen zwischen 6 und ½ 9 haben sie in Wesseling den Rheinuferbahnhof und das Stellwerk zerdeppert. Wir hatten nur Alarm. – Jetzt gehen auch die Sirenen. Dieses Jahr wird doch durch allerhand die Weihnachtsstimmung genommen Du doch,, wenn ich spät abends alleine im Zimmer sitze, kommt sie sofort wieder. Und ich denke auch viel an unsere früheren Weihnahten. Wie schön war es bei uns zu Hause und dann kamst Du noch als Höhepunkt der ganzen Sache. Und in manchen Geschenken von Dir, z.B. in dem Buch Islandfischer, ist noch die ganze Stimmung eines solchen Weihnachtsabends gefangen, wenn ich es nur sehe. Wie wir dann zusammensassen, erregt von der Wärme und einem Glas Wein und ich begleitete Dich dann zur Haustüre und zum Schluss nahm ich dann Dein Geschenk ins Bett mit wie ich als Kind mit den Spielsachen getan hatte. Und dann am nächsten Morgen im dämmergrauen Zimmer der Tisch mit den Geschenken und in der Luft der Geruch von Weihnachten und die zwei Feiertage vor sich… es ist doch wundervoll, jung zu sein und all das intensiv zu empfinden und wenn man über diesen Äusserlichkeiten steht, ist das kein Reiferwerden sondern ein Nachlassen der Gefühle. Dieses Jahr fühle ich mich nämlich in dieser Beziehung zum ersten Mal als Erwachsene. Bis dahin war ich wirklich in der Weihnachtsfreude ein Kind geblieben und das kam daher, weil Du es so verstanden hast, mich Weihnachten so zu überraschen. Und dafür danke ich Dir heute

aus vollem und ganzem Herzen, für alle diese schönen Weihnachtsfeste und das ist an diesem Weihnachtsfest meine ganz besondere Freude, dass ich diese Erinnerungen habe. Und das Schwere, das uns viele Dezember brachten, das muss eben, wie ich vorhin meinte, Überwindung in positive Ergebnisse sein.

--- Heute kamen Lollos Geschenke für Heidi an. Eine sehr hübsche Babypuppe (Lollo wollte ja durchaus etwas anderes schenken, aber Heidi wünschte sich mit Intensität wieder eine Babypuppe) ein hübsches, grosses Kaffeeservice und ein Bild, weil sie ja Silber nicht mehr schenken kann. Nun schenkt Lolo ja immer für später und das ist sehr hübsch. Es ist ein alter Stich aus einem Botanikbuch und wenn Heidi gross ist, wird er in ihrem Zimmer ihr wohl Freude machen. Ich würde mir ihn am liebsten jetzt selber aufhängen.

Jetzt gute Nacht. Ich habe nun wieder den Rest des Abends mit Dir verlebt.

                                                                                  Sonntag morgen.

Es ist bitterkalt. Richtiges Weihnachtswetter, wie man es in früheren Jahren hier doch nie gekannt hat. Eben war Oberleutnant Strenger hier und wartete auf ein Ferngespräch. Wir haben uns lange unterhalten. Er denkt, dass Du doch noch Urlaub bekommst, mindestens zu Neujahr, denn dann fährt im Allgemeinen die zweite Hälfte. Wenigstens bei der Armee ist es so. Bei der Luftwaffe gibt es in dieser Beziehung andere Gesetze.

Hier zieht auch bei uns Grossen Erwartung ein.. Ich warte auf Dein kleines Päckchen und hauptsächlich auf einen Brief. Heute ist keiner gekommen. Aber Du wirst heute wieder Post von mir bekommen haben, denn ich hatte Dir sofort geschrieben. Ich kann doch meinen armen Mann keine Minute länger wie nötig warten lassen. – Unten sitzt Fräulein Wolf selig bei Omi Endemann. Sie ist zum Heiligen Abend zum Kaffee und Abendessen bei Fräulein Wittmann-Leipziger eingeladen „und mit Herrn Berghaus“, sagte sie mir strahlend. Da habe ich ihr zu diesem grossen Weihnachtsgeschenk gebührend gratuliert. Es geht doch nichts über die Liebe. Das meine ich ernst, denn wenn man Niemand hat, zu dem man ganz besonders gehört, ist alles nur halber Kram, und das kann eben nur der Mann oder die Frau sein. Anneliese ist ebenfalls selig. Sie hat einen langen Feldpostbrief bekommen mit Liebesgeständnissen und wir alle mussten sie lesen. Den Bräutigam hat sie ja in hohem Bogen rausgeworfen. Er kam noch zweimal von Wipperfürth, aber sie hat ihm unsere Haustüre vor der Nase zugeschlagen. Er hatte sich dumm gegen sie benommen und alle Entschuldigungen und Versprechungen halfen nichts.

                                                                                              Deine Lotti.

Der Übergang zum Schluß ist etwas abrupt, wie ich sehe, aber ich war mal wieder gestört worden.

Ich habe auch Deinen Tabaksbeutel wiedergefunden.