Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 5. Januar 1942
den 5.Januar 42
Mein lieber Mann!
Also, ich habe den gordischen Knoten durchhauen. Heute nachmittag kamen Anneliese und Helga glücklich an Land, nachdem ich fast 15,- Mk. an die diversen Bürgermeister, Bauern und Anneliese vertelegrafiert und vertelefoniert hatte. Die Angst und Aufregung hatte ich natürlich dazu.
In der Zwischenzeit hat sich dann herausgestellt, dass unsere gute Anneliese mich wieder recht hübsch beklaut hat. Ich habe sie dann ruhig begrüßt und ihr ebenso ruhig mitgeteilt, dass sie sofort ihre Sachen packen und gehen könne. Dann habe ich ihr ein paar recht scharfe Worte gesagt. Als sie merkte, dass ich Beweise hatte, erklärte sie sich sofort bereit zu gehen. Sie will dann wiederkommen und ihre Sachen holen. Heute abend ist sie schon zu Hause.
Ich wäre ja über den ausgedehnten Urlaub schließlich weggekommen, denn Mädchenmangel hilft ja über vieles weg, aber ich kann doch nicht meine Sachen so mir nichts dir nichts wegschleppen lassen. Eingeschlossen hatte ich ja genug, aber hier handelte es sich um Flaschen mit Eukatolöl aus meinem Schränkchen, um Babywäsche, mehrere Glas Gelee, Äpfel und Butter.
Auch fehlt mein Anhänger mit der Gemme, den ich noch vor vierzehn Tagen anhatte, und schon länger das silberne Armband mit den Widderköpfen. Außerdem wieder Geld. Wenn sie wiederkommt, verlange ich den Schmuck, oder ich drohe mit Anzeige. Ich habe vorhin schon wegen des Schmuckes gefragt, aber da tat sie wie vom Himmel gefallen. Da sie das zuerst bei den anderen Sachen, die sich dann beweisen ließen, auch tat, werde ich beim Schmuck kurzerhand entweder oder machen. Ich hatte zuerst vor, sie solange zu behalten, bis ich einen Ersatz gefunden hatte, aber weiß der Kuckuck, was sie mir dann wegschleppt. Ich suche auch schon lange nach einer kleinen Teetischdecke und nehme an, dass sie damit andere Leute beglückt hat. Ebenso zählte ich die Zahnpasten von Dir und fand, dass zwei fehlten. Da aber der Schrank ja immer abgeschlossen ist, dachte ich mich getäuscht zu haben, bis das Mädchen von nebenan sagte, sie habe ihrer Freundin Zahnpasta geschenkt, sie habe gesagt, sie hätte noch eine Quelle für Pasten, Cremes, Seifen und derartige Sachen. Die Quelle bin ich. Ein Paar Strümpfe fehlen auch. Nun frage ich bloß, hat sie einen Dietrich, oder wie kommt sie an die Sachen? Und ich habe das ganze Silber von der Mu in diesem verschlossenen Schrank. Dass natürlich unter diesen Umständen kein Gedanken mehr an Bleiben auch nur auf Tage ist, kannst Du verstehen.
Diese letzte Woche ging es ja ganz gut mit der Arbeit, aber gestern morgen war ich etwas zusammengeklappt. - Vor mir liegt noch wie ein Berg die Unterredung mit Anneliese und ihr Kofferpacken, das sie in meiner Gegenwart machen muss. Das habe ich ihr schon mitgeteilt. Scheußlich, sowas.
Wat sagste nu? Ich bin nur froh, dass das Fiasko nicht in Deinen Urlaub fiel und dass wir da noch vergnügt zusammen feierten. Ich habe mich beim Arbeitsamt vormerken lassen, weiß aber nicht, wann ich jemand bekomme.
Aber gibst Du nicht selber zu, trotz Deiner vielen Bedenken, dass ich sie unter diesen Umständen nicht mehr im Hause lassen konnte? Denn was wird mir alles fehlen, was sich mit der Zeit herausstellt. Z.B. fehlt auch der silberne, ovale Anhänger, den Du jetzt noch in der Hand hattest. Ich nehme an, damit hat sie als Gastgeschenk die Bauern beglückt. Sie war sehr bereit, auf ihren Lohn zu verzichten, aber den habe ich leider vorige Woche schon an ihre Mutter abgegeben, weil die endlich mal Geld von ihrer Tochter für all das, was sie für sie ausgelegt hatte, wiedersehen wollte.
Als zweite Freude kann ich Dir mitteilen, dass auf die Berufsschule (früheres Lyzeum Lessingstraße) Flak kommt, Nach Godesberg kommt doch merkwürdig viel. Die armen Kleinen, wie sie dann zittern werden. Und die arme Omi und ich. Ist man dadurch gefährdeter oder geschützter?
Heute habe ich das letzte Oel bekommen. Von nun an gibt es vorläufig kein Oel mehr, nur noch Margarine, aber das ist nicht weiter schlimm, dafür haben wir das dritte Kriegsjahr.
Im übrigen weinen die Kinder sehr, weil Anneliese weggeht, sie möchten sich lieber von ihr wieder gründlich verhauen lassen, wenn sie nur bleibt. Kenne einer die kindliche Psyche. Und ich habe die Kleinen diese Woche so gut versorgt, habe mit ihnen gespielt und gesungen, es war reizend (in meinen Augen) und Heidi, dieser Gemütsmensch sagt: "Ganz nett war das ja auch, aber, wenn die Anneliese auch haut, ist es doch genau so schön." 10000 Küsse, Deine Lotti
Wenn nix Schlimmeres kommt wie dies, können wir schon zufrieden sein im Krieg. Es gibt viele Frauen, die einen Haushalt ohne Hilfe versorgen können. Aber wie oft ich heute schon die Treppen passiert habe, ist nicht zu zählen. Und die Kohlen!!! Und der Jürgen!!! Deine Lotti