Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 4. Januar 1941

den 4.1.41

Mein lieber Mann!

Auch Du hast jetzt frei. Es sind nämlich 1/2 6 Uhr, und ich habe noch eine halbe Stunde Zeit, bis die Kinder gebadet werden, Und ich weiß auch schon allerlei wieder zu erzählen.

Es ist draußen so kalt, und ich friere den ganzen Tag. Erst, wenn ich mich hier am Ofen durchschmoren habe lassen, werde ich wieder ein Mensch. Dazu habe ich dann den Rest Deiner Pralinés gegessen.

Und jetzt bekommst Du alles aufgetischt, was ich Neues weiß: Ich fange mit der Morgenpost an: Geschäftliches: Krefting hat die 600.-Mk. Im Verrechnungsscheck bezahlt. Frau Reiff hat auch die 20.-Mk. überwiesen. Ich glaubte nicht recht daran, weil der Weihnachtsmonat hinter uns liegt.

Privat: Schultzens haben geschrieben. Denk mal, Lucie musste mit offener Tuberkulose ins Krankenhaus, und Schultzens haben sich dann auch untersuchen lassen müssen. Dabei stellte sich heraus, dass Hans krank ist und zwar seit etwa zwei Jahren. Er muss nun sofort in ein Sanatorium im Schwarzwald, vorerst auf drei bis vier Monate. Ist das nicht furchtbar traurig? Der Arzt sagte, Überarbeitung und Unterernährung seien dran schuld. Die Omi Hechtle ist natürlich nun wieder wütend, dass Thea ihm immer Puddings und dicke süße Suppen, die er so gerne mag, und Milch vorenthalten hatte. Schultzens haben nun natürlich nicht Sylvester gefeiert, sondern sind sehr früh ins Bett gegangen, weil Hans sich sehr schonen muss. Thea und Jochen fehlt nichts, aber sie sollen zwei bis drei Monate in Bergluft, um allen Eventualitäten vorzubeugen.

Mir tut Hans schrecklich leid, und ich kann nachfühlen, was er in seiner sensiblen Art alles durchmacht, bei dem Gedanken, in ein solches Sanatorium zu müssen. Und meistens sagen die Ärzte ja drei Monate, um die Patienten nicht von vorneherein zu erschrecken.

Jetzt fangen dort Kummer und Sorge an, gerade wo ich denke, dass wir davon befreit sind.

Ich lese das Buch 'Die Gärten des Lebens' von Paul Fechter. Es würde Dir auch bestimmt gefallen. Später werden wir es uns vorlesen. Schicken möchte ich es nicht, denn das Buch ist zartblau eingebunden. Ich habe Dir das Buch von Gesler und den Kornett eingepackt. Dann habe ich Dir noch rausgesucht, ein Leseuch aus dem Rainer Wunderlich-Verlag, nach dem ich mir Perdita gewünscht hatte, 'Der kleine Wunderbaum', 12 Legenden von W. Schmitbonn, von denen mir immer besonders gut gefielen: 'Der Ruderknecht und die Zwerge', 'Der Flieger, der Gott sah', 'Die zwei Indianer und ´Der letzte Mensch.'

Wenn Linz erst wieder neue Bücher hat, schicke ich Dir oft welche. Sage mir auch, wenn Du einen besonderen Wunsch hast.

Anneliese kommt eben und bittet mich, die Kinder zu baden. Ich

packte natürlich die Schreibmaschine zusammen, worauf sie eine streng militärische Haltung annahm und sagte: "Melde gehorsamst, alle Kinder sind gebadet." Solche Neckereien macht sie zu gerne, und ich falle immer wieder drauf rein.

Heute abend will ich nach dem Abendessen doch mal ausgehen und zwar zu Wolframs, weil die am nächsten wohnen. Hier war heute nachmittag etwas dicke Luft. Ich habe dann auch ganz vorsichtig die Sache mit Jäckchen und Badetuch angedeutet -worauf die Omi Endemann etwas von oben herunter sagte, dass sie die Herrin in Hause sei, und das bis an ihr Lebensende und sich in dieser Eigenschaft auch Kritik an Dingen erlauben dürfe, die nicht richtig seien. Das ließe sie sich nicht nehmen. Worauf ich dann den Schnabel hielt. Jetzt ist alles wie-der gut, denn eben kam sie herein und ließ Dir recht herzliche Grüße bestellen und war sehr nett. Aber die Lust am Wohnzimmer ist mir für heute vergangen und dann habe ich wieder Gelegenheit, wieder mit anderen über Dich zu sprechen. Und das habe ich doch noch sehr nötig. Morgen vormittag besuche ich Anita Stein, die augenblicklich kein Mädchen hat und in Aufnehmern und Staubtüchern verkommt. Leni schrieb mir aus Köln eine sehr nette Karte und hat ein schlechtes Gewissen. Da ich sie nicht persönlich sehe, muss ich ihr ja wohl meine Meinung schreiben. Das wird sie dann einsehen und unserer Freundschaft tut das keinen Abbruch. Sie war nur die Weihnachtstage zu Hause, Sylvester schon wieder in Köln. Ihr Hans zieht eben doch sehr. Sie bleibt ein halbes Jahr in Köln und dieses halbe Jahr wird wohl mit einer grossen Enttäuschung enden.

Heute vor acht Tagen! Da standest Du in der Türe. War das schön! Eine Trennung hat doch ihren Wert, wenn dadurch fünf so schöne Tage erkauft werden. Die werden mit mir als Erinnerung bis an mein Lebensende gehen. Und in einem Mannesleben muss das Erlebnis des Soldatseins und des Krieges und der Kameradschaft als Vervollkommnung oder wie man es nennt, genau so sein wie bei uns das Erlebnis der Geburt. Aber allen solchen Theorien zum Trotz möchte ich Dich doch zu gerne wieder hier haben. Und ich sehe in der Ferne nur die Beendigung des Krieges und lebe in der Hoffnung und fühle mich dauernd mit Dir verbunden.

Und jetzt ist's aus mit dem Brief, Pappi, denn ich muss noch einen Stollen backen. In einer halben Stunde wird gegessen, bis dahin muss er fertig sein. Heute abend gibt's Kakao mit Brötchen. Und was hatten wir heute Mittag? Stockfisch. Sogar alle Kinder essen ihn gerne. Heute war die Hülsenfruchtzuteilung bei Biederbick. Ich bekam ein Pfund Erbsen und drei Pfund Linsen. Die Linsen kosten 48 Pf. das Pfund, früher höchstens 25 Pf. Und so ist es mit allem, und deshalb kommt man mit dem Geld immer schlechter aus. Das summt sich nämlich enorm zusammen. Butterschmalz, das wir jetzt bekommen, ist doch letzten Endes ranzig gewordene Butter, die eingeschmolzen ist. Es kostet aber 2,- Mk. im Pfund, ist also teurer wie Butter, weil angeblich das Wasser heraus ist. Und damit kochen wir nun. Es schmeckt sehr gut, ist aber sehr teuer (Palmin 48 Pf. und Nierenfett 35 Pf. früher). Und was anderes kann man nicht nehmen oder man muss ganz auf diesen Teil Fett verzichten. --- Sag mal, wie komme ich dazu, Dir diesen Hausfrauentratsch zu erzählen? Genau wie eine Kränzchenschwester. Aber ich bin schon wieder drüber weg und backe jetzt meinen Stollen.

Deine Lotti.

Herr Krefting läßt Dich herzlich grüßen.