Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 9. Januar 1942

den 9.1.42

Lieber Mann!

So, jetzt, von fünf bis sechs, wird rücksichtslos eine Samstagspause eingeschaltet, und ich schreibe Dir. Dann werden die Kinder gebadet.

Draußen liegt herrlicher, dicker, knirschender Schnee, und Helga kommt überhaupt nicht mehr nach Hause. Sie hat auf der Rheinallee eine Schlinderbahn gemacht, und wenn sie nicht darauf ist, ist sie mit dem Schlitten unterwegs. Die anderen bleiben lieber zu Hause. Denen ist es noch zu kalt.

Von Dir ist noch keine Post gekommen, und wenn ich nicht gestern mit Dir telefoniert hätte, wäre ich unruhig. Aber trotzdem ist es Zeit, dass mal wieder ein schöner Brief kommt. Gerade jetzt, denn Du kannst Dir denken, dass ich jetzt überhaupt nichts, was irgendwie nach Vergnügen aussieht, habe. Sogar Film und Kränzchen sind gestrichen. Es ist unmöglich, nur auf eine Stunde aus dem Betrieb rauszukommen. Vielleicht liegt es auch daran, dass man als Hausfrau die Arbeiten, die man sonst dem Mädchen übertrug, gründlicher macht und immer sieht, dass noch irgendwo etwas fehlt. Und wenn man schon im Eifer ist, dann muss eben auch alles vorbildlich sein. Das ganze Haus sieht aufgeräumt und blank aus, mehr als vorher, und darüber bin ich auch wieder froh. – Ich hatte schon gedacht, dass bei diesem Arbeitstempo keine Zeit für die Verwaltungsabrechnungen bleibt, aber morgen ist Sonntag, denn geht das auch. Und ich bin überhaupt von einer Unternehmungslust und von einer Arbeitsfreudigkeit, die auch über wehe Hände und wehen Rücken siegt. Und wenn es zu dicke kommt, dann denke ich an die Soldaten in Russland, und dann ist auf einmal alles Katzendreck.

Im übrigen habe ich mich mit einer unerschütterlichen Ruhe gewappnet, und das wird wohl auch der Grund sein, weshalb ich dieses Tempo seit Deinem Weggehen so gut durchhalte. Und wenn dann so Tücken, passieren wie gestern, als mir von der obersten Stufe der zweiten Etage die Tülle mit Eierkohlen umkippte und die frisch aufgewaschene Treppe dementsprechend aussah, so kann mich auch sowas nicht aus der Fassung bringen.

Mutter ist über diese Lösung sehr glücklich und wünscht sich diesen mädchenlosen Zustand in Ewigkeit fortgesetzt. Ich ja nicht gerade. Anderseits habe ich vorläufig auch noch nicht viel dagegen, weil ich in dieser Masse Arbeit glücklich bin und keine Zeit für dumme Überlegungen habe.

Wir haben am Abend von Annelieses Rausschmiss noch mit Stettin telefoniert, und die Guten haben uns dann versprochen, sich zu überlegen, wann die Mu käme, und dabei ist es dann geblieben. Die wollen sie scheinbar nicht

oder nur sehr schwer rausrücken.

Habe ich Dir schon erzählt, dass ich ein neues Buch habe? Ich hatte Anfang November bei Möckels eine Neuerscheinung aus dem Piper-Verlag "August und Ottilie“ von Hans von Hülsen bestellt und nie wieder was gehört. Nun ist es vorgestern angekommen, und ich muss sagen, ich habe mich sehr gefreut. Es liegt auf meinem Nachttisch und ist als Bonbon an den Tagesabschluss gesetzt.

Mein gutes kleines Heidikind hilft immer weiter. Mittags beeilt sie sich, aus der Schule zu kommen, nur um mir zu helfen, und legt bereitwillig jedes Spielzeug hin, um was zu tun. Bei Helga bleibt es bei dem guten Willen. Ihre Verträumtheit überwältigt sie immer wieder, und ich darf darüber nicht böse sein, denn ich war als Kind genauso. Ich musste auch immer wieder mit Gewalt in den Alltag zurückgerufen werden, um ein paar Minuten drauf wieder in irgendwelche Gefilde zu gondeln. Sie wird aber trotzdem ihren Weg machen, und Heidi hat es leichter, weil sie sich nicht mit unnützen Vorstellungen das Leben schwer macht.

Mein Gott, eben kommen alle vier schon wieder an. Klaus und Ursel stoben ins Zimmer, und Heidi würgt sich mit Jürgen gerade die Treppe runter. Jürgen schreit jetzt immer Mamma, und wenn ich ihn ansehe, redet er in seinem Hottentottisch lange Sätze. Ihm genügt es, wenn ich dann nicke.

Also, Gedanken fassen kann ich nicht mehr, denn es tobt ein wilder Kampf, und Ursel brüllt, als wenn sie gebraten würde. (…). Ach, Pappi, schreib Deinem Lött wieder mehr. Lasse ruhig die anderen warten und schreibe in Deinem schönen Majorszimmer lange Briefe (wenn Dir etwas einfällt, heißt das). Und wenn mir jetzt nicht irgendwelche nachdenkliche oder liebe oder sonstige Sachen einfalle, so schiebe das auf das Konto Kinderbad, denn jetzt ist es halb sechs, und die Vorbereitungen, als da sind frische Wäsche, Badetücher, Abendessen, Zimmerlüften usw., müssen gemacht werden.

Deine fröhliche Lotti