Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 16. Januar 1941

den 16.1.41

Mein lieber Mann!

Heute bekam ich Deinen zweiten Brief und habe ihn bestimmt schon fünfmal gelesen. Ich bin so ausgehungert nach Briefen .Es ist schlimm, ich bin so verliebt und voll Stimmungen wie ein junges Mädchen, das seinen Liebsten im Kopf hat und nicht wie eine Mutti von fünf Kindern. Und ich kann mich jetzt ohne quälende Gedanken ganz und gar diesem hingeben. Dieser, der Stimmung nämlich, Pappi.. Der Satz war falsch ausgedrückt und Du wirst mir sonst zu übermütig. Sowieso werden mir die fünf Tage Urlaub, je weiter sie in der Zeit verschwinden, ein rotleuchtendes Licht- und Schattenspiel.

An welche Feldpostnummer soll ich nun schreiben? Ich muss wohl abzählen, denn ich glaube, Du hast meine Briefe in der Zwischenzeit doch wohl bekommen. Wenn ich das blos genau wüsste. Da ich Sonntag den ersten erst wegschicken konnte wird er wohl heute bei Dir eingetroffen sein.

Wilhelm Düren war heute nachmittag da und hat sich gefreut, dass Du nun aus dem Gröbsten raus bist. Ich soll Dich recht herzlich grüßen und sobald er Deine richtige Feldpostnummer weiss, will er Dir schreiben. Auf ihn rückt ja jetzt die Einberufung auch los und nach der ersten Erfahrung wird er ja nun seine ganze Philosophie zu Hilfe nehmen müssen, um es einigermassen ertragen zu können. Und dann lässt Dich Herr Becker grüßen. Die zwei kamen nämlich hingereinander an.

Unsere Heidi habe ich heute nachmittag wieder aus dem Krankenhaus abgeholt. Helga be-grüßte sie an der Türe: "Tag Heidi, wo sind Deine neuen Bücher?" Und dann saß sie für den Rest des Tages in einer Ecke und las. Noch nicht mal eine Anstandspause hatte sie zwischen 'guten Tag' und der Frage gemacht.

Und dann hat Frau Thelen mir ein wunderschönes Kleid genäht. Aus dem braunen Stoff. Und ich bin wieder etwas dünner geworden, und Frau Thelen ist darüber sehr glücklich. Sie sagt, den Schnitt, den ich mir diesmal ausgesucht hätte, hätte ich vor zwei Jahre noch nicht tragen können. Morgen ziehe ich es zu Frau Holtmann an. Ich freue mich.

Herr Becker erzählte, dass Herr Best Weihnachtsurlaub hatte und dass sie ihm in diesem Urlaub die ganze Wohnung zertöppert haben. Die Engländer nämlich.

Draußen liegt dicker Schnee, und unsere vier purzeln mit ihren Trainingsanzügen den ganzen Tag draußen rum. Besonders Klaus ist nicht mehr im Zimmer zu halten, und ich lasse ihn auch raus. Mit den Omis bestehe ich zwar Kämpfe, denn sie meinen, es sei zu kalt, aber das merken die Kinder von selbst,

und gerade einen Jungen kann ich doch nicht so anbinden.

Samstag spricht Dr. Kröber in der Redoute über den Bauwillen des Deutschen Reiches. Wenn mir die geburtstägliche Kaffeetrinkerei Zeit dazu lässt, werde ich hingehen. Und am Freitag kommt der Bismarckfilm mit Paul Hartmann. Den muss ich auch sehen.

Und dann lese ich wieder viel. Außer den Bibliotheksbüchern habe ich mir jetzt aus dem Regal Goethes italienische Reise genommen. Weißt Du, wenn man so allerlei liest und es gehen einem Zusammenhänge auf oder ein Gebiet öffnet sich neu oder sonstwie, man wird doch klein und immer noch ein bisschen kleiner und noch kleiner. Auch, wenn man so sieht, was begabte und kluge Frauen leisten und dass man selbst als einzig Positives etwas Interesse an Sachen, die im Geistigen liegen, aufbringt. Es ist doch eigentlich jammerbar wenig. Und warum kann man eigentlich nicht eine 100%ig gute Hausfrau sein, wenn man Interesse an solchen Sachen hat? Ich möchte auch gerne mehr leisten.

Ach, Unsinn, es nagt nur an mir, weil mir gestern klipp und klar erklärt hat, dass ich meine Pflichten nicht genügend erfülle, dass es haarsträubend sei, wie ich die Kinder erziehe und dass, wenn ich auch nur ein Viertel von dem zu leisten hätte, was die Omi geleistet hat, ich darunter zusammenbrechen würde. Sowas wurmt mich sehr, aber zugleich nagt der Wurm auch los und fragt, ob nicht doch etwas Wahres dran sei und wo ich einhaken muss, um besser zu werden.

Ach, Pappi, ärgere Dich nicht darüber, denn es kommt auch nur, weil die Mutter Dich so lieb hat und furchtbar eifersüchtig ist. Schreibe ihr doch auch einen Brief. Du glaubst nicht, wie ihre Stimmung beeinflusst wird, wenn ich Post von Dir bekomme. Anneliese geht ihr auch schon wieder auf die Nerven und sie möchte ihr am liebsten kündigen.

Also, schreib der Mutter recht lieb und sage ihr auch recht viel liebe Worte, denn sie wartet sehr darauf, endlich einen Brief ganz für sich allein zu bekommen. Und ich verstehe es auch, denn in ihrem Leben hast Du doch die größte Rolle gespielt, und all ihre Liebe hat sich auf Dich konzentriert. Und nun betrachtet sie mich in ihrem Haushalt irgendwie als Eindringling, (denn in ihren Gedanken wird es immer ihr Haushalt bleiben) der sich für Dein Geld gute Tage macht. Und wenn ich dann die ganze Sache mit ihren Augen betrachte, hat sie ja auch recht, und ich kann ihr nicht böse sein. Denn jemand, den man sehr liebt, abgeben, kann man nun mal nicht. Und Du standest für sie von jeher an erster Stelle, nicht Vater. Es ist alles so verständlich, wenn man sich in sie versetzt. Darum schreibe ihr bitte, und recht, recht lieb.

Den Gedanken mit einer Reise finde ich herrlich. Ob er in Erfüllung gehen kann? Es liegt noch so viel dazwischen. Aber in viel nähere Sicht rückt schon Dein Urlaub, und dann werde ich mit Dir auf jeden Fall nach Elberfeld fahren.

Ist es nicht wundervoll, dass wir zwei so zusammengehören und uns nicht leid werden?

Deine Lotti