Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 27. Januar 1941
den 27.1.41
Mein lieber Mann!
Eigentlich wollte ich heute abend nicht schreiben, denn ich habe Dir ja heute morgen schon einen Brief geschickt. Aber die Omis sind wieder voller komischer Ansichten (bekennende Kirche, ein lieber Gott, der sie vor den Bomben beschützt, und wenn Tausende andere dran glauben müssen, frei nach 'O heiliger Sankt Florian) dass ich sofort ganz still war. Und ich muss mich heute noch mit Jemand unterhalten, mit dem es mir Spaß macht. Diese Dunkelheit !!! Sonst hätte ich längst Jemanden besucht. Und nun profitierst Du davon.
Und noch aus einem anderen Grunde schreib ich Dir. Heute ist der 27., und am 31. ist unser (8.) Hochzeitstag, und nach meiner Berechnung wirst Du dann diesen Brief. bekommen, und er soll an Stelle eines Geschenkes da sein (übrigens habe ich Dir vorhin 10,- Mk. geschickt, ich konnte leider nicht mehr schicken).
Nun sind wir schon so lange verheiratet, noch länger sogar, und haben uns heute wie im Anfang lieb. Ist das nicht herrlich? Wie ich unseren Tag feiern werde, weiß ich noch nicht. Ich werde mir wohl ein besonders schönes Buch aus der Bibliothek holen. Ich lese enorm viel, und es ist ja wohl die beste Gesellschaft, die ich haben kann, sonst könnte ich manchmal trübsinnig werden. Und so bin ich eigentlich immer innerlich froh, wenn ich den Reichtum sehe, der mir offen steht an Büchern. Musik, Kunst usw. Und wenn ich auch nur wenig davon verstehe, so gehen mir auf manchen Gebieten Ahnungen und Erkenntnisse auf, und ich stehe immer wieder fassungslos vor der Unmasse Geistesgut, das einem gehören kann, wenn man will. Und da ich jetzt nicht mehr gedanklich um irgendwelche Geschäftssorgen rumküseln brauche, kann ich sehr viel Zeit daran wenden.
Denkst Du noch an unsere missglückte Hochzeitserinnerungsfeier im vorigen Jahr? Wie wir uns im Hotel Rheinland solch schönes Essen bestellt hatten und die Omis auf einmal erschienen? Oder vielmehr sofort hinter uns hergegangen waren? Und da sagten wir: Wie werden wir ihn wohl im nächsten Jahr feiern. Und nun ist das nächste Jahr und wir können ihn gar nicht feiern.
Und denkst Du noch an die Omnibusfahrt nach Zons? (Es geht um Reminiszenzen an die karge Hochzeitsreise.) Und an das Regenwetter und den Gang um die Stadtmauer und an den Katzenhund oder die Hundekatze und an das abgebrannte Haus, hinter dessen Fassade fröhlich weitergelebt wurde? Und die harte Wurst und die Kartoffelsalatsuppe? Für uns muss das Schicksal noch eine richtige Hochzeitsfeier aufheben.
Gestern habe ich mir beim Rex 'Das einfache Leben' von Wiechert geholt. Es ist sehr gut und ich möchte es wohl haben. Es gehört zu den Büchern, die man nicht in der Bibliothek holt, weil man sie nicht durchschmökern kann. Weil es nun Sonntagmorgen war und noch nicht 12 Uhr, habe ich Gudrun besucht. Sie saß zwar gerade in der Badewanne, aber das geniert sie nicht, und ich habe ihr dann beim Bad und beim Anziehen Gesellschaft
geleistet (übrigens hätte jeder Maler Freude an ihr gehabt und ich auch) Sie fand es furchtbar nett, dass ich sie besuchte, und nun hat sie sich für Samstag abend bei mir eingeladen. Sie hat die Woche über ja keine Zeit und sonntags liegt sie teils im Bett, teils in der Wanne. Ich mag sie doch sehr gerne leiden. Sie hat so etwas Grosszügiges und das Herz auf dem rechten Fleck dabei ist sie klug und ist eben rundherum ein rechter Mensch mit einer sehr anständigen Gesinnung (Meinungen über eine anständige Gesinnung gehen ja auseinander, wenigstens bei einigen Pädadamen). Ich finde, Gudrun hat viel von ihren beiden Eltern geerbt und wenn sich die anderen bei dieser Ansicht zehnmal auf den Kopf stellen.
Morgen will ich nun mit Helga und Heidi zur Untersuchung. Hansi schrieb uns auch. Sie liegt schon seit einer ganzen Zeit mit Nierenentzündung zu Bett. Sie scheibt auch,, dass Hans vollkommen deprimiert ist, seit er im Sanatorium ist und nicht glaubt, dass er gesund wird, sondern dass er dort überhaupt erst recht krank wird. Das ist das, was ich für ihn gefürchtet habe. Er ist seelisch empfindlich wie ich und ich habe, wie ich damals den Brief las, dass e fortkommen solle, schon alles, was auf ihn einstürzt, wenn es ihm so richtig zum Bewusstsein kommt, dass er in einem Lungensanatorium ist, im Geist mit durchgemacht, alle Depressionen und schwarzen Gedanken, die ihm über das Leben, den Tod, die Zukunft kommen würden. Aber ich hoffe, dass er sich durch diese Depression durchkrabbelt. Ich werde ihm wohl auch an Hand meiner Schreibmaschine dann Briefe schreiben, denn ich glaube, dass die Briefe von mir immer mit einer ganz besonderen Wonne aufgenommen würden, weil da wirklich etwas drinstände.
Das Programm im Radio ist reizend. Tanzmusik und Lieder auf Schallplatten. So richtig, um eine Zigarette dabei zu rauchen.
Nun sag mal, dieser Brief sollte eigentlich garnicht geschrieben werden, weil ich nämlich dachte, es sei nichts besonderes passiert. Und nun sind doch wieder zwei engbeschriebene Seiten draus geworden. Aber es ist mir auch ein Bedürfnis, Dir alles zu erzählen, was mir den Tag über begegnet ist. Hätte ich ja meine Schreibmaschine nicht, würden die Briefe ja wohl auch nicht so lang werden.
Die Mu sagt gerade, meine Kinder wären eine andere Nummer als andre. Klaus untersucht nämlich die Steckdosen im Haus und musste deshalb fürchterlich auf die Finger bekommen.
So, mein lieber, lieber, liebster Mann, jetzt habe ich Dir eine halbe Stunde geschenkt, nun muss ich flicken. Die ganze Couch liegt voller Sachen. Es ist aber nicht schlimm, weil das Radioprogramm so schön ist. Zuerst rauche ich aber noch eine Zigarette und denke an Dich.
Deine Lotti.