Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 20. März 1941

den 20. 3.41

Liebster!

Ich warte auf den Nachrichtendienst. Heute nachmittag ist endlich Omi Hechtles Geburtstagskaffee gestiegen. Uff!!! Nach endlosen Verhandlungen, welche Kuchen gebacken werden sollten und zu welchen man so viel mehr oder weniger Fett und Eier brauchen musste.

Übrigens können die Damen gegen früher bemerkenswert viel Kuchen vertilgen. Man merkt dabei doch die knappere Kost, denn früher aßen sie zwei Stücke und waren zu vornehm, das dritte zu nehmen, und hatten ein mitleidiges Lächeln für denjenigen, der doch so gefrässig war und heute isst die Dünnste und Zarteste 5 Stück.

Warum schreibst Du nicht? Sitzt Du im Bau oder ist etwas Wichtiges, dass Du nicht schreiben darfst? Es wird mir langsam beängstigend.

Ich bin in den letzten Tagen das Hauptgespräch in Godesberg gewesen. Auf der Karl-Finkelnburg-Straße ist ein kleiner, vierjähriger Junge totgefahren worden, Klaus und Anneliese hatten es gesehen und nun hat irgendein Unglücksvogel in die Welt gesetzt, dass es Klaus Endemann sei. Was ich schon angerufen worden bin und wer sich alles erkundigt hat. Edith Vogel so gut wie der Milchhoffmann, Pfarrer Müller so gut wie Leute aus der Stadt. Auch Dr. Monar. Er sagte mir heute, dass ihm sogar erzählt worden sei, ich hätte mich noch vor Gericht zu verantworten, denn ich hätte das Kind noch zurückreißen können und hätte es nicht getan. Es herrschte ein Bedauern über uns. Der Milchmann hatte sogar die ganze Nacht nicht geschlafen und war frühmorgens da, und seine Tochter hatte es dann auch in jedem Haus, in das sie in Godesberg Milch liefern, erzählt. Da sieht man wieder!

Hast Du schon in den mitgenommenen Büchern gelesen? Hat Dir irgendetwas besonders gut oder nicht gefallen?

Jürgen habe ich heute wiegen lassen. 20 Pfund hat der Bengel. Anneliese hat ihm die Haare geschnitten, was ihm sehr niedlich steht. Er sah zuletzt wie ein Wanderprediger aus. Nun werden auch uns Apfelsinen zugeteilt, von denen er begeistert ist. Wir fahren ihn auch schon im Sportwagen spazieren.

Ich hatte gestern abend Ursel be mir im Bett. Sie sah Dein Bild an und sagte: "Das ist ganz extra mein Pappi." Und Klaus schrie heute mit seiner Bärenstimme, als sich die Damen unten anzogen: "Und jetzt ist die ganze Jeschichte wieder aus."

Jetzt gute Nacht, mein Liebster, und schreibe, denn ich sorge mich sonst. Du lachst mich vielleicht aus. Aber die Ungewissheit ist wirklich scheußlich. Bitte reiße mich

aus der Ungewissheit.

Was machen Deine Freunde? Erzähl auch mal von ihnen. Hast Du Pützens die Fleischmarken geschickt?

Gestern habe ich einen reizenden Film gesehen: 'Das himmelblaue Abendkleid', ein Film voller Verwechslungen. Georg Alexander war wieder sehr nett.

Viele herzliche Grüße von
Deiner Lotti.

(Mein Füllfederhalter ist mal wieder da, wo ich nicht bin)