Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 23. März 1941
den 23.3.41
Liebster Pappi!
Ich habe Dir nicht deshalb nicht geschrieben, weil Du Dich in Stillschweigen hüllst, sondern weil ich ein paar Tage vor Umtrieb gar nicht dazu kam. Aber mittlerweile ist ja auch das überbrückt, und Du wirst an dem Tag wohl noch Post von mir bekommen haben. Ich freue mich jedenfalls, dass ich heute erstens einen Sonntagsbrief bekommen habe und zweitens, dass Du wieder ganz gesund bist.
Dieser Sonntagmorgen gilt nun Deinem Brief. Das, was ich in der Küche vorzubereiten hatte, habe ich gestern abend gemacht, Jürgen hat seinen Spinat gegessen (mit großer Begeisterung übrigens) und sitzt in seinem Wagen bei mir im Wohnzimmer, ein himmelblaues, rosigsauberes Paketchen, das auf seinen kommenden Eckzähnchen kaut. Helga und Heidi sind im Film. 'Der kleine Häwelmann' wird gegeben, und Helga war völlig aufgeregt, als sie den Titel las.
Es regnet heute wahre Vorhänge, also wird das Programm für heute nachmittag das Wunschkonzert sein. Der Frühling hat sich in unser Zimmer verkrochen mit Forsythien in der großen Glasvase und Osterglocken auf dem kleinen Tisch. Ich selber habe einen tüchtigen Schnupfen.
Morgen kommt Ilse Düren mit Anhang, Mutter Angelkorte und Günther zu uns. Da meine Omis auch dabei sind, habe ich Frau Angelkorte mitgebeten, was ihr sehr gut einging. Übermorgen bin ich bei Wolframms.
Du müsstest Jürgen sehen. Er untersucht seinen Wagen und gibt seine Meinung laut kund. Unser kleiner Jung. Nun wird er auch schon bald ein Jahr. Weißt Du noch, wie Du Dich damals gefreut hattest? Ich war so stolz, dass ich Dir einen Sohn präsentieren konnte. Wir haben neben viel Sorge doch auch viel Schönes erlebt, und mir geht es überhaupt so, dass ich das Traurige viel weniger in Erinnerung behalte als das Schöne.
Diese Woche werden nun die 500,- Mk. eingehen, denn vorgestern ist erst die Genehmigung erteilt worden. Das wird meiner Seele neue Flügel geben.
Ich habe schon die Restüberweisung Gummersbach fertiggemacht, ebenso bezahle ich den Mantel fertig, und damit wären dann sämtliche alten und laufenden Rechnungen beglichen. Die Rechnungsmappe hat die Schwindsucht bekommen, sie ist vollkommen ausgehöhlt und nix mehr drin. In den Verwaltungen hinkt auch nichts mehr nach. Ich erledige die Rechnungen immer am selben Tag. Ach, Harald, wie freue ich mich, wenn wir erst wieder zusammen sind.
Das Leben ist doch nur ein halbes ohne Dich. Ich weiss nicht recht, für wen ich mich schön machen soll und manchmal ziehe ich tage und Tage dasselbe Kleid an,, weil ich einfach keine Lust habe, ein anderes rauszusuchen.. Aber dann ist es auch wieder ganz anders, besonders wenn die Sonne scheint und ich mache mich recht mit Bedacht hübsch.
Ich habe Jürgen eben hingelegt. Jetzt sehen zwei himmelblaue Beinchen mit rosa Pantöffelchen aus dem Wagen, und dazu singt er mit kleinen Tönen. Solche Zufriedenheit eines Kindes überträgt sich auf einen selbst, und man meint, die Harmonie in der Welt sei vollkommen.
Draußen geht der Regen nun in Fieselschnee über. Jürgen zieht sich die Bänder aus den Pantöffelchen und schimpft fürchterlich, wenn sie ihm aus den Fingern rutschen. Über mir hämmert es. Ich glaube, Klaus hat seinen Hammer wiederentdeckt. Weil Anneliese aber oben ist, wird ja nicht viel passieren. Sie singt erschütternd schön. Ich will ihr jetzt ihr lautes Wesen abgewöhnen, es gelingt aber noch immer nicht, weil sie jedes Mal, wenn man es ihr sagt, wie aus den Wolken gefallen. ist, dass ausgerechnet sie laut gewesen sein soll. Sie sei doch soo leise. Da sie aber guten Willen hat, wird eines Tages, wenn der Groschen fällt und sie merkt, dass sie eine Bärenstimme hat, der Erfolg da sein.
(Ich muss jetzt erst mal Deinem Sohn die Bänder wieder in die Pantöffelchen ziehen). (Ein Jubelquietscher, aus dem ersten Pantöffelchen hat er das Band wieder rausgezogen.)
Ich schreibe manchmal abends in Gedanken lange Briefe an Dich und habe Dir so viel zu erzählen, und am nächsten Morgen ist alles weg.
Schuhe für Heidi und Helga wären auch nicht übel. Aber behalte auch bitte Geld für Dich übrig. – Was war das für ein Film, in den Du gehen wolltest? Ist es ein richtiges Kino oder auch eine Baracke.
Jetzt sitzt Du wohl auf dem Gefechtsstand, und da es halb 12 ist, wirst Du wohl bald mittag-essen. Was habt Ihr? Bei uns gibt es Suppe, Roastbeef mit Selleriesalat und Schokoladen-pudding. Geistig bin ich heute nicht ganz auf der Höhe, wenn ich schon den Speisezettel erzähle. Schiebe es auf meinen gewaltigen Schnupfen.
Ich halte Dich lieb.
Deine Lotti.