Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 26. März 1941
den 26.3.41
Mein Liebster,
zwischen dem "Fehrbelliner“ - wie erinnert er mich an schöne Vesdep-Feste - und dem Nachrichtendienst habe ich zehn Minuten für Dich. Als beschwingenden Trank genieße ich das letzte Glas Rotwein aus der seinerzeit nicht von Omi zugekorkten Flasche. - -
Helga ist Deine Tochter. Wir ließen sie heute abend Buttermilchsuppe probieren, ohne ihr zu sagen, was es war. Sie machte ein schreckliches Gesicht. „Zuerst schmeckt sie ja ganz gut“, meinte sie, „aber unten schmeckt sie fies“.
Ursel ist ein Blag. Jetzt resst sie mit beiden Händen die Mundwinkel auseinander, so dass sie eine schreckliche Fratze bekommt, und Klaus findet es herrlich.
Ich habe Frau Gesler die Strümpfe gebracht. Sie war nicht da, aber er. Da sie sich nicht mucksen, behalten sie sie wohl trotz des hohen Preises und des in ihnen enthaltenen Eies. Aber Dr. Gesler bittet Dich auf den Knien um Kaffee. Jeder Preis ist ihm egal, wenn er nur welchen bekommt. Und Wolframms träumen schon von der Schokolade. Aber ich bin dafür, dass ich davon nur abgebe was ich entbehren will. Auf Kakao freuen sie sich auch.
Einige der kleinen Heftchen habe ich nicht bekommen Kant, Goethe und noch einige. Ich lege Dir einen Professor und Philosophen der Rokokozeit bei, der Dir bestimmt gefallen wird. Philosoph stimmt nicht ganz. Humor hat er auch.
Nun ist ja auch der japanische Außenminister in Berlin. Eben sagt es der Nachrichtendienst.
Gute Nacht, lieber Mann, ich bin müde. Draußen rauscht der Regen. Es ist das richtige Wetter für ein molliges Bett. Ich möchte mich in Deine Arme verkriechen und von Regen und Kälte nichts mehr spüren. Gute Nacht, gute Nacht!
den 24.3.41
Heute morgen bekam ich zwei Briefe von Dir. Ich schreie dann auch Hurra. Ich habe Dich sehr lieb.
Wir haben wirklich ungefähr immer dieselben Gedanken. Du fragst mich, was Du wegen Omi Endemann machen sollst? Und wirst heute vielleicht meine Meinung darüber haben. Es hat keinen Zweck, da große Auseinandersetzungen zu machen. Solange man eben mit seiner Schwiegermutter zusammenwohnt, muss man allerlei in dieser Sache einstecken. Sie tut es nach ihrer Meinung ja auch (und von ihrem Standpunkt aus vielleicht mit Recht. Ich breite mich langsam durch die wachsende Kinderschar immer mehr über ihr Haus aus. (dass früher
auch verschiedene fremde Leute im Haus waren, hat sie vergessen. Meine Art, den Haushalt zu führen, ist ganz anders und meine Ansprüche an Kleidung ebenfalls (das wirkt sich in ihren Augen als Oberflächlichkeit und "hochmütiger Bums" aus). Dass ich eine schlechte Hausfrau bin, ist eine Ansicht, die sie ja wohl mit allen Schwiegermüttern der Welt teilt. Nimm es nicht tragischer, als es ist. Ich hätte es Dir aus dem Impuls heraus nicht schreiben sollen:
Ach, ich beneide Dich um die Spaziergänge am Meer. Wenn man da so lang läuft in diesem Brausen, ist man vollkommen wunschlos, genau so, als wenn man in der Sonne liegt.
Wenn Du jetzt wieder Urlaub bekommst, ist es sicher wunderschön, denn dann ist ja alles in der Reihe und nichts nachzuholen. Wenn Du jetzt Engels in die reihe gebracht hast, bin ich jeder Sorge frei. Und die Zukunft wollen wir dem Schicksal überlassen. Wenn wir zu jeder Zeit das Richtige tun, wird schon alles werden. Und Sorgen kann ich wohl mit Dir tragen, wenn die auch kommen sollten, das ist nicht so schlimm. Denn die grössten Sorgen sind nichts gegen das bedrückende Gefühl der Unzuverlässigkeit des Anderen, denn das nimmt dann auch von den Freuden, die dazwischen liegen, den Blütenstaub weg. Durchprobiert habe ich es ja und kann aus Erfahrung sprechen und nehme auch das Wort Sorgen nicht leichter, als es ist, wie man wohl so etwas hinsagt ohne sich über die Tragweite bewusst zu sein.
Wir wollen aber auch unsere Jugend geniessen, so lange wir sie noch haben und deshalb wünsche ich uns ein gutes Auskommen. Wie die Zeit rast, wissen wir jetzt selbst und wissen, dass wir alles, was uns jetzt noch als Geschenk der Jugend geboten wird, bewusst geniessen müssen. Und dazu habe ich alle Lust. Und dann, wenn wir älter werden, erleben wir ja, wenn wir Verständnis dafür behalten, die ganze Jugend it Schule, mit erstem Erleben, mit all ihren Freuden und Hoffnungen fünffach mit.
Meine schönen Gedanken wurden durch Herrn Vogel unterbrochen. Ich war gestern bei ihm und hatte diesem misstrauischen Karnikel die Belege und die Ausrechnung des Bauamtes sowie das gesetz dalassen müssen. Eben kam er nun, war bei seinemm Berater gewesen und musste nun zugeben, dass er zahlen muss. Er zahlt 28.- Mk. Und einiges. Umgelegt werden dürfen die Kosten bis zu einem Betrag von 165.- Du kannst mir nun glauben, dass keiner im Hause mehr einen Wunsch hat. Von den bisher entstandenen Kosten sind 95.- Mk. Auf die Mieter einschl. Frau von Salvini, deren Zimmer mit 20.- Mk. Bewertet wurde umgelegt.
Pappi, ich opfere Dir doch jeden Tag eigentlilch eine ganze Menge Zeit. Aber ich muss Dir alles erzähllen, was hier so passiert. Helga hat sich über den Hasen sehr gefreut. Heidi ebenfalls über den Brief. Sie war ganz verlegen.
Ich lese das neueste Buch von Bruno Brehm. Die sanfte Gewalt, ein Vorkriegsroman aus Österreich. Sehr nett.