Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 26. April 1941
26.4.41
Liebster Harald,
Jetzt, nach Tisch bekommst Du einen Brief. Ich hatte heute morgen schon einen an Dich geschrieben, aber da hatte ich ein bisschen viel von mir erzählt und habe ihn wieder zerrissen. Ich bin nicht in Form, schöne Briefe zu schreiben und das kommt alles daher, dass ich etwas abgekämpft bin. Dazu kommt noch die seelische Entspannung nach Heinzens Brief und das Wissen, dass Du jetzt die Verantwortung trägst nach der jahrelangen seelischen und dabei auch schliesslich körperlichen Belastung, die ich hatte. Ich möchte mich jetzt ganz ausruhen und dann mit starken neuen Eindrücken wieder neu anfangen. Ich weiß bloß noch nicht, woher sie kommen sollen. Von den Omis bestimmt nicht. Und den Kindern gibt man auch nur und empfängt nicht. Und ich bin augenblicklich sehr auf die Einwirkung eines anderen Menschen eingestellt.
Ach, du lieber Himmel, und der Haushalt hat mich jetzt und nicht ich ihn. Man läuft und läuft und rennt von morgens bis abends, und kommt doch zu keinem Ende, und nie ist ein Moment, wo man sagen könnte, dass es endlich richtig wäre. Das Schlimme ist ja, dass die Kinderzimmer auf der zweiten Etage liegen. Ich bin immer unterwegs nach dort, um Windeln zu holen oder Hustentropfen oder Wäsche raufzubringen oder Ursel ins Bett zu legen oder Helga zu versorgen oder, oder, oder. Bei fünf so kleinen Kindern ist das eine enorme zusätzliche Kraftanstrengung. Wie ist es nur früher möglich gewesen, dass ich Zeit für Dich hatte? Ich finde den ganzen Tag keine freie Minute mehr, und wenn ich wirklich mal ausgehe, ist es auch die höchste Zeit, dass ich zupacke.
Sag mal, nun ist es wieder ein Brief von mir geworden. Aber mit mir ist in der letzten Zeit nicht viel los und da ich Dir ja doch einen Brief schreiben will, werden sie so oder es wird garkeiner.
Gestern abend war ich im Film „Reitet für Deutschland". Willi Birgel ritt natürlich. Film ist für meinen augenblicklichen Zustand immer noch das Beste.
Ich schicke Dir mein Schuhsohlenmuster mit. Aber das wird ja wohl keinen Wert haben, da die Schuhe wahrscheinlich gekauft sind. Handschuhe könnte ich auch gut gebrauchen. Ent-weder zum blauen Jackenkleid oder zu den braunen Mänteln. Aber nötig ist es ja wohl nicht, weil ich ja welche habe. Und über das sehr Modische bin ich irgendwie raus.
Ich wüsste auch sonst nicht, was ich Dir immer hätte aufschreiben sollen. Im Großen und Ganzen kommen wir sehr hübsch aus, und über das, was Du geschickt hast, habe ich mich immer sehr gefreut. Und große Wünsche kann ich nicht äußern, weil ja immer Geld dazu gehört.
Jetzt, es ist halb drei, muss ich mich auf den Trab machen, zu Engelbert, zu Biederbick und in die Apotheke, denn Dr. Monar rief eben an, Helga hat einen Blasenkatarrh und muss Tabletten kriegen. Jürgen quäkt schon die ganze Zeit und will Unterhaltung haben, und Ursel kam vorhin mit vollkommen blutüberströmtem Gesicht nach Hause. Es war aber halb so wild. Sie hatte bloß eine Fleischwunde über dem Auge. Dann will ich für morgen den Pudding machen und einen Kuchen backen, das Ställchen herrichten und die Samtkleider länger machen – Da siehst Du, wie blöd ich bin. Ich zähle Dir eine ganze Liste von Hausfrauenarbeit auf.
Wie ist es mit dem Urlaub? Meinst Du nicht doch, dass Du vor dem Herbst noch welchen bekommst.
Jürgen schimpft wie ein Rohrspatz. Ich muss ihn ja wohl im Wagen mitnehmen. Er ist der Verzogenste von den Fünfen. Der Jüngste. –
Bis nachher, lieber Mann!
Heute kam Post von Thea. Sie geht jetzt mit Hans vier Wochen in die Gegend vom Feldberg, und danach wird Hans wohl gesundgeschrieben. Die Mu soll wieder nach Stettin kommen. Ich sehe schon, dass dann für mich doch kein Erholungsurlaub herauskommt, ich wüsste auch nicht wohin. Denn zwei Godesberger hintereinander wird Thea doch wohl nicht haben wollen.
Bist Du mir böse, dass ich so einen Knörzbrief schreibe? Kannst Du mich ein bisschen trösten und eien?
Hör mal, wie ist das zu verstehen, fällt mir ein, was Heinz schrieb: Nimm vorerst keine weiteren Anweisungen vor. Ist das so zu verstehen, dass ich vorläufig auch die 50.- Mk. schicken soll? Denn ich habe doch bisher überhaupt nichts geschickt.
Jetzt ist es doch wieder 7 Uhr durch und der Brief sollte um 6 im Kasten sein. Aber icch komme nur etappenweise zum Schreiben. Und jetzt, wenn es Abend wird, werde ich die letzte Zeit immer lebendig und kann vor 12 nicht ins Bett finden. Aber da ist dann nicht viel zu machen.
Heidi ist naseweis. "Wenn Frau Riepe über die Straße geht, macht sie immer so ein Gesicht und so einen Mund, aber wenn sie mit einem Mann geht, hat sie sich immer direkt verbessert". Und vor ein paar Tagen, als die Omis bei Tisch allerhand zu meckern hatten: "Ihr habt immer über die Mutti zu sagen und schimpft mit ihr. Bezahlt Ihr denn auch der Mutti, was ihr esst?" Omi Hechtle hat losgeheult, weil sie das als Spitze gegen sich auffasste, aber Heidi hatte es vollkommen aus sich gesagt. Das Kind ist ungeheuer naseweise und macht auch,, wenn ich manchmal mit ihm über die Strasse gehe, aus sich heraus sehr naseweise, aber jedesmal , den Nagel auf den Kopf treffende Bemerkungen. Dafür
bekommt sie dann auch jedes Mal ein paar auf den Mund, es lässt aber auch einen Blick in ihren Charakter tun, der kühl beob-achtet. 1000 Küsse, Deine Lotti