Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 29. April 1941

den 29.4.41

Eben will ich ins Bett, da kommt der Alarm. Nun bleibe ich bei leiser, sentimentaler Musik noch etwas auf und will sehen, wie sich die Sache entwickelt. Heute mittag hatten wir auch Alarm, aber nur sehr kurzen.

 

den 30.4.41

Lieber Mann!

Aus dem Schreiben gestern abend ist nicht viel geworden, weil beide Omis, diesmal auch meine, zu nervös waren. Der damalige Bombenabwurf sitzt ihnen noch in den Gliedern. Mir, ehrlich gestanden, auch.

Der Mai kündigt sich mit einem warmen Landregen an. Heute abend wäre ja auch eine Maibowle fällig, und ich hätte auch große Lust darauf, aber wir können ja keine Bowle machen. Überhaupt habe ich heute Lust auf eine Sonderfreude, weil morgen erster Mai ist. Aber nun bin ich etwas mies gestimmt. Die Kinder sind, weil es regnet, so ungezogen, alles scheint durcheinander zu sein, und ich habe das Gefühl, ich komme mit der Arbeit nicht durch und dazu der Ärger mit der Affäre Anneliese.

Dass ich von ihr als Hilfe in diesen Tagen nicht viel habe, kannst Du Dir denken. Aber dafür ist sie morgens und nachmittags weg zum Verhör. Heute nachmittag musste sie schon wieder um drei Uhr oben sein, und als ich heute aus der Stadt kam. waren zwei Kriminalbeamte da, die ihre Sachen durchgesucht hatten und unseren Garten dazu. Der Beamte sagte mir, dass sie sich durch ihre Widersprüche noch ins Loch bringe, trotzdem kein Strafantrag von ihren Eltern gestellt sei. Es fehlen 2000.- Mk., von denen das Mädchen behauptet, Anneliese hätte sie. Anneliese streitet es ab, aber da sie sich bis jetzt so sehr widersprochen hat, erst wusste sie gar nichts von einer Kassette, und nun hat sie schon zugegeben, sie mit dem Mädchen zusammen zuerst in unserer Mülltonne versteckt hatte, oder zuerst, als ich sie, ohne zu wissen, dass das mädchen gestohlen haben könne, aber irgendwie einen Verdacht hatte, gefragt habe, ob sie das Mädchen mal mit nach Hause genommen hätte, stritt sie es ab und beim zweitenmal gab sie es zu und beim dritten Mal hatte sie sie schon zweimal mitgenommen. Die Beamten haben sogar unseren Speicher durchsucht, weil sie genau wissen, dass die Kassette in unserem Hause gewesen ist. Es ist ein Rattenschwanz von Vermutungen, und wenn sich herausstellt, dass Anneliese doch nicht so unschuldig ist, werde ich sie, so leid es mir tut, doch wohl nicht behalten können, denn dann ist sie so unzuverlässig, dass ich ihr ja nichts mehr glauben kann. Also muss ich dann wohl wieder auf die Mädchensuche gehen.

Ist das Ganze nicht ein Ärger? Auf jeden Fall werde ich Dir die Abschnitte dieses Romans, so wie er weitergeht, erzählen.

Jetzt mache ich Schluss, denn ich muss die Kinder besorgen und für morgen noch alles ein-holen. Anneliese ist schon wieder zweieinhalb Stunden weg und man weiss ja nicht, ob sie wieder kommt. Der Beamte sagte, sie nehmen sie so lange in die Zange, bis das Geld wieder da ist.

Also, gehaben Sie sich wohl Herr Endemann, ich bin sehr eilig, Deine Lotti