Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 5. Mai 1941
den 5.5.41
Lieber Harald,
Dass man sich an der Schreibmaschine jetzt im Mai noch an den rotglühenden Ofen setzt, ist eigentlich doll. Draußen dämmert es. und solange ich kann, schreibe ich ohne Licht. Außer den grünen Bäumen haben wir hier auch nicht viel vom Frühling mit Ausnahme von ein paar sonnigen, aber nicht lauen Tagen. Man merkt es gar nicht, dass der Frühling da ist, weil die Weichheit der Luft fehlt. Sogar das Wiesenschaumkraut auf Dr. Monars Wiese ist schon verblüht, und trotzdem läuft man am liebsten im Pelz.
Heute nachmittag habe ich Heidi zur Schuluntersuchung gebracht, Es kommen diesmal eine ganze Reihe bekannter Kinder hin, Schwinger, Pöll, der Konni von Lipperts, der Junge von Landgerichtsdirektor Holbach, von Bürgermeister Sander, von Professor Eckart, von Stende-bach, also eine ganze Menge, die man so kennt. Auf dem Rückweg traf ich Frau Gesler, die mit ihrer Dörte hinwollte, um sie noch ein Jahr zurückstellen zu lassen.
Heute nachmittag kam ein wunderschöner, dunkelroter Azaleentopf an zum Geburtstag Jürgens, von Heinz Schilling und Kurt Schumacher geschickt mit einem kleinen Brief von Heinz Schilling. Er schreibt unter anderem mal wieder: "Wir warten des Endes." Aber ich habe nach der Führerrede nun doch den Eindruck, dass es dieses Jahr nicht zu Ende geht. Was meinst Du? Das Gute ist bloß immer, dass man immer wieder die Beruhigung hat, dass er es richtig macht.
Für Heinz Schilling ist es natürlich schlimm, wenn er sich aufs Warten einstellt, denn das geht dann an die Nerven. - Und der Irak kämpft ja nun auch schon tüchtig. Der Krieg breitet sich eben immer mehr aus und an ungeahnten Stellen.
Heute morgen hat Ilse Düren mich besucht. Sie ist vier Wochen in Duisburg gewesen, davon 14 Tage mit Theo zusammen. An eine Wohnung ist in Kattowitz vorläufig nicht zu denken. Die paar brauchbaren Wohnungen waren sofort im vorigen Jahr weg, und was jetzt noch da ist, ist für westdeutsche Maßstäbe nicht zu brauchen. Sommer und Herbst wird sie wohl noch hier-bleiben müssen.
Ach, ist es heute abend schön. Ich bin ganz allein in meinem Zimmer. Es kommt mir eben zum Bewusstsein.
Hast Du schon eine Ahnung, wo Du ein Darlehen aufnehmen kannst und wie Du Dir die Rückzahlung denkst? Ach, Harald, Harald,
Es wird zu dunkel im Zimmer. Ich werde auch kein Licht anmachen, sondern gleich ins Bett gehen. Übrigens noch eins. Ich hatte auf Wunsch von Frau von Salvini Herrn Dürholt und Frau Mommer gemahnt, ihre Anteile zu bezahlen. Heute kommt Herr Dürholt triumphierend und zeigt mir einen Abschnitt aus dem Generalanzeiger von vorgestern, nach dem ein neue Verfügung sagt, dass die Luftschutzkosten nicht mehr auf die Mieter umgelegt werden können, sondern vom Reich erstattet werden. Die näheren Ausführungsbestimmungen ergehen noch. Ist das nicht zum Wildwerden?
Der Brief hat wahrscheinlich viele Druckfehler, aber ich schreibe fast ganz im Dunklen. Ich küsse Dich. Deine Lotti.