Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, Fragment, eventuell vom 13. Mai 1941
(Fragment) … und humorvoll.
Eben war ein junger Soldat da, der als Quartiermacher für neue Soldaten kam, Er weiß nicht wohin mit den Leuten, die noch kommen, und fragte, ob wir nicht wenigstens noch ein Bett hätten. Ich sagte ihm, dass wir in unseren vollbesetzten Haus wirklich keinen Platz mehr hätten, worauf Heidi dazwischenrief: Doch, doch, Mutti, in Anneliese sein Zimmer kann er schlafen, da steht noch eins. Aber er sah ein, dass das wirklich nicht ging.
Jetzt muss ich mit Omi ins Kränzchen. Ich muss, denn sie hat mich enorm gequält. Man hat manchmal eine Reihe von Tagen, an denen man am liebsten im selben Kleid herumläuft. So renne ich schon die letzten acht Tage im karierten Kleid mit den alten schwarzen Schuhenn rum und kann mich nicht entschliessen, etwas anderes anzuziehen, teils, weil ich durch den grossen Schnupfen fröstele und dann, weil ich einfach nicht den Dreh kriege. Ich wollte auch nicht mit, weil ich einfach keine Lust hatte, mich umzuziehen. Nun bin ich es. Dabei bin ich gut gelaunt. Ich weiss nur nicht, warum ich mich anders anziehen soll. Für die Omis nicht und um zur Stadsparkasse und in die Wurzerstrasse zu laufen, taten es mir die alten Brocken.
Also, das Kränzchen war nun bei Meert in Mehlem. Ich traf dort zufällig Edith Vogel mit ihrer Mutter. Karl war ein paar Tage auf Urlaub, d.h., Urlaub kann man es nicht nennen. Er musste für seinen Hauptmann in Wien etwas erledigen und hat sich vier Tag für Godesberg abgespart. Acht Tage hat er im Ganzen von dort unten auf der Bahn gesessen, nur einmal hat er warmes Mittagessen gehabt, sonst nur sein Kommissbrot gekaut. Edith sagte, er hätte ein ganz kleines Gesicht bekommen, ist sehr ernst geworden, und nach der einjährigen Abwesenheit völlig desinteressiert an seinem Beruf.
In Godesberg hat er sich, nachdem er vor Erschöpfung einen Tag durchgeschlafen hatte, nur mit Steuererklärungen und derartigem beschäftigen können. Er fühlt sich vollkommen fremd hier und muss nun acht Tage lang zurückreisen. Bis Bukarest nimmt er einen Zug, dann weiß er noch nicht, wie er bis zu seinem Standort an der türkischen Grenze kommt, und muss überhaupt sein Regiment erst suchen.
Auf jeden Fall habt Ihr es besser. Charly schläft auf der nackten Erde, schon seit Wochen, und bekommt sehr schlechtes Essen. Von der Löhnung bekommen sie nur die Hälfte ausgezahlt (dies ist ja kein "besetztes" Gebiet, und deshalb soll nichts gekauft werden. Pakete nach Hause schicken ist ebenfalls verboten. Der Hauptspeisezettel besteht aus Dörrgemüse und Erbsensuppe). Weißt Du noch, wie er früher ganz selig "Ach Mensch" sagte, wenn er auf Urlaub war und abends im Löwen saß? Und jetzt, sagt er, ist es ihm, als ob er überhaupt nicht mehr hierher gehöre.
Edmund Jorands haben sie aus einem Urlauberzug rausgeholt, in dem er mit zwei lebendigen Hühnern saß, die er mitbringen wollte. Nun musste er sie da schlachten. Pfarrer Zunn ist in Bordeaux und hat keine Ruhe gehabt, bis er wieder bei seiner Truppe war.
Nun wird Schluss gemacht Pappi. Ich sehe, dass ich beinahe schon wieder vier Seiten fertiggebracht habe. Verwöhne ich Dich nicht zu sehr mit Post? Die musst Du eben für Zigaretten nehmen. Ich kann doch keine bei Biederbick bekommen, trotzdem ich schon dauernd hinrenne. Vorige Woche habe ich fünf Stück bekommen, und die habe ich für irgendeinem Besuch gebaucht (und für mich). Heute abend gibt es Chicoree mit Schweinekotelett. Gar nicht wie Krieg, was?
Ich kriege selbst einen Schrecken vor den langen Briefen. Hast Du überhaupt Zeit, sie zu lesen? Es sieht beinah aus, als ob ich nichts anderes täte.
Ich kann doch diesen Rockkockherrn Lichtenberg nicht finden.. Ich lege Dir ein anderes Heftchen bei. Kuss! Deine Lotti