Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 17. Mai 1941
den 17.Mai 41
Liebster!
Vor mir steht der schöne Blumenstrauß, den Du mir zum Muttertag schicken ließest, und ich danke Dir recht, recht herzlich dafür. Es ist sehr lieb von Dir, dass Du daran gedacht hast. Anneliese hat gerade von sich und den Kindern einen Blumenstrauß gebracht und mir noch einen Brief dazugelegt. Sie ist doch ein Unikum. Ich tippe ihn Dir eben ab, weil ich so darüber lachen musste, (Links in der Ecke ist ein Blumenstrauß auf einem Tisch gemalt.)
Liebe Frau Endemann!
Nun bin ich ein halbes Jahr bei Ihnen tätig, und ich musste feststellen, dass Sie ein gutes Mutterherz haben, sowie Sie Ihre Kinder pflegten und beschützten, haben Sie nie ein Unterschied gekannt, sondern sorgten für mich wie eine Mutter, und das wird Ihnen mal später gut gemacht. Sie wissen, wie es mit mir steht, und darin sind Sie feinfühlend und lassen nichts an mir merken und darum lasse ich nie was auf Sie kommen, und ich verspreche Ihnen mit Gotteswillen weiterhin mit Ihrer ganzen Kinderschar Treue und Pflichterfüllen weiter zu dienen und ich will mich bessern im schreien. Es verbleibt mit diesen Worten Ihre Anneliese.
Sie sagte dabei ganz ernst, was sie verspricht, das hält sie auch. Dies bezieht sich in der Hauptsache auf das Schreien. Das ist mein ewiger Kampf mit ihr.
Ursel kommt eben mit einer fürchterlichen Hängenase. Das Taschentuch wäre ihr fortge-laufen. Klaus hat ein dickes Loch im Hinterkopf, das ihm der Büb geschmissen hat, Ursel ein ebensolches am Auge, auch vom Büb. Ich habe ihnen das Spielen mit diesem Untier verboten, aber das hilft nichts. Die beiden weinen in diesem Fall sogar nicht, und Klaus hat ihn sich zum Vorbild genommen und wird sehr rüpelhaft. Ich muss ihm schon manchmal den Hosenboden strammziehen. Und gestern.... na.
Gestern hat Heidi uns alle in Aufregung versetzt, und ich habe mich aufgeregt wie selten in meinem Leben. Also, unsere Heidi nimmt sich den schönen neuen Ball, deer nur im Garten gespielt werden darf, zieht zum Rhein, und die Fortsetzung kannst Du Dir ja denken. Sie kommt laut brüllend an, und der Ball schwamm im Rhein. Ich hätte mich sonst nicht so aufgeregt, weil Kindern sowas passieren kann, aber weil Du doch extra geschrieben hattest, er sei so schön. Auf jeden Fall hat Heidi von mir und dann wieder leider von den beiden Omis Hiebe bezogen, dass sie stundenlang geheult hat.
Da aber Muttertag kommt, hat die ganze Geschichte einen versöhnenden Abschluss. Helga kommt vorhin an. Sie hat einen Jungen kennengelernt, und der hat ihr erzählt, dass zwei
Kinder, die in der Rheinstraße wohnen, den Ball aus dem Wasser gefischt haben. Kurz und gut, wir haben ihn wieder, und die Kinder haben einen kleinen Finderlohn bekommen. Und Heidi ist überglücklich. Ist das nicht schön? Es ist beinahe wie ein Wunder.
Gestern nacht hatten wir wieder Alarm. Es ist zu ärgerlich, dass ich mich immer darüber so aufrege, dass das Herz sich richtig zusammenzieht. Wenn die Sirene tönt, fange ich an zu zittern, dass das ganze Bett wackelt. Nun fallen aber die letzte Zeit auch jedes Mal Bomben. Diesmal habe ich während des Alarms 12 Detonationen gezählt, dass manchmal alles wackelte. Aber man unterschätzt ja die Entfernungen. Die nächsten waren auf der Deutschherrenstraße gefallen. Und nach der Entwarnung kamen noch zwei Stück runtergesaust. Jetzt sind deine Mutter und ich die ängstlichen Hühner. Alle anderen haben gute Nerven und lassen sich nicht stören.
Thea hat heute geschrieben. Wie immer eine Karte, dass es ihr gut geht. Vielmehr Inhalt haben ihre Schreiben ja nie, und dass sie am 21. nach Stettin zurückfährt Am 24. Hat sie Geburtstag und das sollte wohl durch die Blume angedeutet werden.
Heute nachmittag haben wir mit der Hilfe unseres Soldaten die Gardinen wieder aufgehangen und nun sieht unser Zimmer wieder schön aus. Und dann haben wir zur Feier des Tages Bohnenkaffee getrunken. Und heute abend gibt es Fisch mit Buttersauce (Deine beiden Pakete sind heute morgen angekommen, daher die Butter). Ich habe mich sehr gefreut und den beiden Omis je eine Tafel Schokolade von Dir zum Muttertag geschenkt, anschließend lade ich sie zum Kino ein(´...über alles in der Welt´), und dann gibt es Bier. Das finden alle sehr schön. Ich wusste nicht richtig, was ich ihnen schenken sollte, und im "Rheinland“ säßen wir uns gegenüber und hätten uns nicht viel zu sagen. Und ein Festessen isst man heute sowieso am besten in den eigenen vier Wänden.
Ich habe heute bei Blatzheim angerufen, wo mir die Sekretärin sagte, dass das Geld schon angewiesen sei. Herr Blatzheim hätte schon den Auftrag gegeben. Gott sei dank.
Heute habe ich nach Tisch in der Sonne geschmort. Ich kann unheimliche Mengen Sonne vertragen und eignete mich in dieser Beziehung bestimmt für Afrika.
Was magst Du jetzt wohl tun? Es ist Samstag Nachmittag und 10 vor sechs. Wenn man sich einmal anrufen könnte, das wäre ein ganz grosses Geschenk. Oder wie Dürens, die sich jeden Sonntag ein Telegramm schicken.
Und jetzt ist schon fast ein Vierteljahr seit Deinem Urlaub vergangen. Es ist die bisher längste Trennung. Hoffentlich vergeht nicht nochmal ein Vierteljahr, bis Du wiederkommst. Und dann passiert es Dir hoffentlich nicht, ich habe es verschiedentlich gelesen, dass die Urlauber nach einigen Tagen eine Art Koller kriegen, einen
grundlosen Ärger auf die Familie, das Daheim, die Heimat, sie wissen es selber nicht warum. Das vergeht dann wieder, ist aber entstanden aus der langen Trennung und weil man sich plötzlich mehr den Geschehnissen und den Kameraden, mit denen man all das Neue erlebt, verbunden fühlt. (Ich kann mir denken, dass es in gewisser Weise ein bisschen so ist, wie wenn man von einer langen Reise zurückkommt, dann fühlt man sich ja auch fremd). Dieses dann nur in stärkerem Masse. Ich will Dir das nur schreiben, damit, wenn es Dir in Deinem Urlaub so geht, Du Dir direkt sagen kannst, dass es nicht an uns liegt, sondern dass es fast jedem Soldaten so geht. Dann ist das Schlimmste abgebogen.
Ach, und ich freue mich so, wenn Du kommst. Erst dann lebt man wieder 100%ig.
Morgen bekomme ich sicher Post von Dir, denn ich habe gestern und heute keine bekommen.
Jetzt blüht der Flieder überall. Nun werde ich auch an einem der nächsten Sonntage, wenn das Wetter schön ist, mit den vier Grössten zu Bussmanns gehen. In ihr Schloss, wie Helga sagt.
Ich bin gespannt auf Deinen nächsten Brief und was Du zu zum Neffen von Frau Dr. lang sagst. Kann ein Mensch einen so maßlos enttäuschen, dann ist es ja ein Teufel in Menschengestalt oder ist dem Tommy da ein Kuckucksei ins Nest gelegt? Oder ist es eien Auswirkung grössten Idealismusses? Alles zerbricht sich den Kopf, aber schön ist es doch, wie jeder ob hoch, ob niedrig, am Führer hängt und in Liebe an den denkt, unbeschadet, was der Grund war.
Ich muss jetzt aufhören. Unten werden Klaus und Ursel mit Schelte in Empfang genommen. Sie mögen nett aussehen. Jürgen ist übrigens schon sehr interessiert an den Schicksalen seiner Geschwister. Ursel brüllt über die ganze Lessingstraße. Ich muss unbedingt hin. Klaus hat heute nachmittag Briketts vom Kinderzimmerbalkon geworden. Er hat "Bomben" gespielt.
Also viele Küsse, Liebster. Du denkst an mich und ich denke an Dich. Das muss uns vorerst genügen. Und jetzt übergehe mich mal und schreibe der Mutter einen lieben Brief. Sie wartet sehr darauf. Sie schreibt Dir nicht eher, als bis Du ihr geschrieben hast. Das merke ich.
Vielleicht bekommt sie morgen einen Brief zum Muttertag. Den hat sie verdient. Ich selber komme mir noch nicht als Feiergegenstand eines Muttertages vor, dazu bin ich noch zu jung. Ich finde es trotzdem sehr lieb von Dir, dass Du daran denkst. Aber ich meine immer, so ein Muttertag muss erst mal verdient sein und das kann man ja wohl erst gegen Ende des Lebens behaupten oder vielmehr merken.
Genau so geht es mir übrigens mit dem Mutterkreuz. Ich hätte es richtiger gefunden, wenn man es den Müttern dann gibt, wenn sie es verdient haben, am Ende ihres Lebens. Bei so einer jungen Mutti wie ich ist noch nicht viel Verdienst dabei. Aber es ist nun mal eingerichtet. Und das ist auch der Grund mit, warum ich es auch nicht tragen mag. Helga würde sagen, ich mag mich nicht mit strunzen.
Viele Küsse! Deine Lotti